Mittwoch, 23. April 1997
23. April
"Nicht weinen, es ist doch alles gut." Nils drückte mich ganz fest und
hielt mich in seinen Armen. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten und
hatte ihn angerufen. Er war inzwischen wieder zu Hause angekommen. Ich
hatte ihm nur gesagt, daß es mir total dreckig geht und er meinte gleich
ich soll vorbeikommen. Er ließ mich rein. Seine Eltern waren
anscheinend gar nicht zu Hause. Ich sah seinen fragenden Blick. Aber ich
konnte ihm nichts erklären. Was sollte ich ihm erklären, was ich selbst
nicht mal verstand. Er hielt mich fest. Ganz fest. So, wie ich ganz oft
Lisa getröstet hatte, hielt er mich und wog mich hin und her. Keine
Fragen, einfach nur da. Seine Nähe, sein Atem, sein Geruch. Was mache
ich? Ich lasse mich von meinem Liebsten trösten, weil ich in einen
anderen Jungen verknallt bin? Ich fühle mich so schrecklich verlogen.
Aber es tut gut, daß Nils mich festhält. In dieser Nacht haben wir nicht
miteinander geschlafen. Er hielt mich nur fest und kuschelte sich an
mich. Und ich fühlte mich so sicher und so geborgen.
Es war kurz vor sechs, als wir gleichzeitig aufwachten. So wie wir ins Bett gefallen waren, lagen wir noch da. Ein langer Kuß zum Abschied. In knapp zwei Stunden würden wir uns in der Schule wiedersehen.
Mom maulte rum, daß ich nun schon unter der Woche die Nächte durchmachen würde und warum ich denn nicht angerufen hätte. Ich warf ihr nur so im Vorbeigehen zu, daß wir noch mit den Kölnern zusammen gefeiert hätten und daß wir dann zusammen im Vereinsheim gepennt hätten. Ich bin selber erstaunt, wie problemlos mir bestimmte Ausreden inzwischen einfallen.
"Wie geht's?" fragte Nils in der Pause.
"Ganz gut", log ich.
"Was ist denn überhaupt los? So eine allgemeine Depristimmung?"
"Wahrscheinlich. Ich weiß es auch nicht so genau." Ich blickte in den Himmel und begann Wolken zu zählen.
"Und ich dachte immer, du bist so stark, und jetzt muß ich dich trösten."
Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, was er gesagt hatte. Ist es das, was Liebe ausmacht? Das mal der Eine mal der Andere da ist, um zu trösten und beizustehen? Ich wünsche mir, ich könnte Nils sagen, was in mir so vorgeht. Aber das wäre Wahnsinn. Und ich bin dankbar dafür, daß er nicht weiter nachbohrte.
Training. Die Kölner sind also tatsächlich weg. Ringen und ich sind plötzlich eines. Ich setze Griffe an, von denen ich bisher noch nicht mal etwas wußte. Trotz Training greife ich so fest zu, daß Florian aufheult und ich einen riesigen Schreck bekomme, weil ich dachte, ich hättte ihm die Rippen gebrochen. Ich bekomme mit, wie Nils und Dimitri miteinander flüstern und anerkennend zu mir rüber nicken. Es macht mich ein bißchen stolz. Aber gleichzeitig weiß ich, daß ich so meinen Frust loswerden kann. 'Dich hatte ich schon mal.' Ich glaube, wenn ich Heiko nochmal auf einer Matte in die Finger bekommen würde, dann würde ich ihn bis zum Gehtnichtmehr zusammenfalten. Aber das Seltsame ist: nicht um ihn zu demütigen, um ihn zubestrafen. Nein, verdammt nochmal, und das ist ja der Mist: um ihn zu beeindrucken. Vielleicht einzig und allein, um ihn zu beeindrucken. Vielleicht um für einen kleinen Moment diesen erstaunten und zugleich anerkennenden Blick einzufangen, den er hatte, als ich ihn schulterte.
Ich habe gerade Robert angerufen und ihm gesagt, daß Heiko weg ist. Daß nichts mehr passiert ist, absolut nichts mehr.
"Gut so", hatte er gesagt. "Vielleicht geschieht dir das mal ganz recht."
"Wie meinst du das?" wollte ich wissen.
"Vielleicht holt dich das ein klein wenig wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Vielleicht wirst du ja ein bißchen weniger arrogant."
Das traf mich, das trifft mich immer noch. Robert meint also, ich bin arrogant? Wo bin ich denn arrogant? Ich bin durcheinander, ich kriege die meisten Sachen im Moment nicht auf die Reihe. Aber arrogant? Das Dumme ist, daß mir die besten Antworten oder auch Fragen immer erst hinterher einfallen. Ich habe jedenfalls beschlossen, daß ich nicht arrogant bin und daß sich Robert irren muß.
Es war kurz vor sechs, als wir gleichzeitig aufwachten. So wie wir ins Bett gefallen waren, lagen wir noch da. Ein langer Kuß zum Abschied. In knapp zwei Stunden würden wir uns in der Schule wiedersehen.
Mom maulte rum, daß ich nun schon unter der Woche die Nächte durchmachen würde und warum ich denn nicht angerufen hätte. Ich warf ihr nur so im Vorbeigehen zu, daß wir noch mit den Kölnern zusammen gefeiert hätten und daß wir dann zusammen im Vereinsheim gepennt hätten. Ich bin selber erstaunt, wie problemlos mir bestimmte Ausreden inzwischen einfallen.
"Wie geht's?" fragte Nils in der Pause.
"Ganz gut", log ich.
"Was ist denn überhaupt los? So eine allgemeine Depristimmung?"
"Wahrscheinlich. Ich weiß es auch nicht so genau." Ich blickte in den Himmel und begann Wolken zu zählen.
"Und ich dachte immer, du bist so stark, und jetzt muß ich dich trösten."
Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, was er gesagt hatte. Ist es das, was Liebe ausmacht? Das mal der Eine mal der Andere da ist, um zu trösten und beizustehen? Ich wünsche mir, ich könnte Nils sagen, was in mir so vorgeht. Aber das wäre Wahnsinn. Und ich bin dankbar dafür, daß er nicht weiter nachbohrte.
Training. Die Kölner sind also tatsächlich weg. Ringen und ich sind plötzlich eines. Ich setze Griffe an, von denen ich bisher noch nicht mal etwas wußte. Trotz Training greife ich so fest zu, daß Florian aufheult und ich einen riesigen Schreck bekomme, weil ich dachte, ich hättte ihm die Rippen gebrochen. Ich bekomme mit, wie Nils und Dimitri miteinander flüstern und anerkennend zu mir rüber nicken. Es macht mich ein bißchen stolz. Aber gleichzeitig weiß ich, daß ich so meinen Frust loswerden kann. 'Dich hatte ich schon mal.' Ich glaube, wenn ich Heiko nochmal auf einer Matte in die Finger bekommen würde, dann würde ich ihn bis zum Gehtnichtmehr zusammenfalten. Aber das Seltsame ist: nicht um ihn zu demütigen, um ihn zubestrafen. Nein, verdammt nochmal, und das ist ja der Mist: um ihn zu beeindrucken. Vielleicht einzig und allein, um ihn zu beeindrucken. Vielleicht um für einen kleinen Moment diesen erstaunten und zugleich anerkennenden Blick einzufangen, den er hatte, als ich ihn schulterte.
Ich habe gerade Robert angerufen und ihm gesagt, daß Heiko weg ist. Daß nichts mehr passiert ist, absolut nichts mehr.
"Gut so", hatte er gesagt. "Vielleicht geschieht dir das mal ganz recht."
"Wie meinst du das?" wollte ich wissen.
"Vielleicht holt dich das ein klein wenig wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Vielleicht wirst du ja ein bißchen weniger arrogant."
Das traf mich, das trifft mich immer noch. Robert meint also, ich bin arrogant? Wo bin ich denn arrogant? Ich bin durcheinander, ich kriege die meisten Sachen im Moment nicht auf die Reihe. Aber arrogant? Das Dumme ist, daß mir die besten Antworten oder auch Fragen immer erst hinterher einfallen. Ich habe jedenfalls beschlossen, daß ich nicht arrogant bin und daß sich Robert irren muß.
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