Sonntag, 20. April 1997
20. April
"Ok, dann treffen wir uns heute Nachmittag auf dem Marktplatz."
Ich habe Robert angerufen. Ich wußte nicht mehr weiter. Ich MUSS mit jemandem reden. Die ganze Nacht habe ich wachgelegen. Ich muß jemandem sagen, was in mir vorgeht sonst werde ich noch wahnsinnig. Mit Doris kann ich nicht über diese Geschichte sprechen, sie würde mir den Kopf abreissen, nie wieder ein Wort mit mir reden und das alles wahrscheinlich sogar zu recht.
Das Schlimme ist nur, ich bin immer noch ganz weg und dieses Gefühl ist viel stärker als mein schlechtes Gewissen.
Robert kam angeschlurft und wir taperten ins Montepulciano. Ich war wirklich dankbar, daß er extra aus Stuttgart hergekommen war. Ich sagte ihm, daß ich nicht mehr weiter wüßte, und dann erzählte ich ihm die ganze Story. Es ist total seltsam. Da saß ich mit einem eigentlich absolut Fremden und ich erzähle ihm, wie ich meinen Freund betrogen habe, daß ich mich in einen anderen Typen verknallt habe und daß ich absolut nicht mehr weiter weiß. Roberts Blick verdüsterte sich, je mehr ich ihm erzählte.
"Wie soll denn das jetzt weitergehen?" wollte er wissen.
"Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung."
"Wie lange bleibt dieser Typ noch hier?"
"Ich glaube, nur noch bis Mittwoch."
"Und was bedeutest du ihm?"
"Wie soll ich denn das wissen? Wir haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen."
"Du bist entweder total bekloppt oder wirklich hoffnungslos verknallt."
"Toll, auf die Idee bin ich auch schon gekommen."
"Wobei es bei beiden Optionen auf's Gleiche herauskommt. Vergiß ihn. Vergiß ihn und zwar ganz schnell. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du einen Freund. Ein sehr lieben Freund, der vielleicht mit seinem eigenen schwulen Bild noch nicht ganz so weit ist, daß er wie dieser Heiko in eine schwule Jugendgruppe rennt, aber doch auf jeden Fall jemand, der dich ganz heftig liebt. Und den du wahrscheinlich bis vor Kurzem auch geliebt hast."
"Ich liebe ihn noch immer."
"Umso klarer muß doch deine Entscheidung sein. Meine Güte, komme doch mal runter von deiner Wolke 7. WAS, um alles in der Welt willst du eigentlich mehr? Du lebst in diesem piefigen schwäbischen Dorf, das noch spießiger und langweiliger ist als Stuttgart und du hast einen Freund. Einen Freund!" Fast schrie er es heraus. "Das willst du auf's Spiel setzen für einen Typen, der ein paar hundert Kilometer weit weg lebt, der dich nicht mal geküßt hat beim Sex und der danach gleich wieder zur Tagesordnung übergegangen ist? Man müßte dich nehmen und schütteln!"
Er hatte sich richtig in Wut geredet, sein Gesicht war knallrot geworden. Er hat ja so recht. Das Dumme ist nur, daß meine Gefühle für Heiko dadurch nicht weniger werden. Wenigstens kommt so allmählich wieder etwas Ordnung in meinen Kopf.
"Soll ich es Nils sagen?"
Robert zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn ja nicht. Aber von dem, was du erzählst würde ich fast vorschlagen, daß du ihm nichts von der Sache erzählst."
Das überraschte mich. Robert, der Wahrhaftige riet mir, Nils nichts zu sagen.
"Wenn er schon so einen Terz gemacht hat, nur weil wir zusammen in Stuttgart im Café gequatscht haben, dann kann man sich ja ausmalen, was passiert, wenn du ihm die Sache mit Heiko erzählst. Und dann hast du nichts mehr: dein Nils ist weg und dein großer, toller Heiko sitzt irgendwo in Köln-Worringen und greift sich den nächsten Typen. Ich weiß, das klingt jetzt total verlogen, aber ich denke, das wird die beste Lösung sein."
Wir saßen uns schweigend gegenüber. Meine Gedanken kreisten um alle möglichen und unmöglichen Optionen. Ja ich dachte sogar für eine Sekunde daran, wie es wäre, nach Köln zu ziehen. Absoluter Schwachsinn, aber für einen Moment schoß es mir eben durch den Kopf.
Zum Abschied nahm er mir noch das Versprechen ab, daß ich ihn spätestens in einer Woche anrufen soll und ihm erzählen soll, wie es weitergegangen ist.
Ich brachte ihn noch bis zum Bahnhof. Von dort rief ich dann Nils an, doch der war nicht zu Hause. Ich wollte ihn eigentlich fragen, ob er mit zu Doris kommt. Seine Mutter meinte, sie würde es ihm ausrichten und vielleicht kommt er ja nach.
Doris saß mit ihrem Baby im Arm auf der Bank vor dem Haus. In der Abendsonne sah die Szene richtig ein wenig kitschig aus. Das Baby sieht von Tag zu Tag mehr nach echtem Baby aus. Das habe ich ihr natürlich nicht gesagt. Doris meint, sie wird erst frühestens in zwei Wochen wieder zur Schule können. Sie weiß noch nicht, wie das mit dem Schuljahr dann wird. Ob sie das alles nochmal machen muß oder wie. Ich finde den Gedanken, daß wir gar keine gemeinsamen Kurse haben werden nicht so toll. Aber vielleicht packt sie es ja doch noch.
"Und was ist mit nun diesem Typen aus Köln?"
Am liebsten hätte ich geantwortet: 'Was soll denn mit dem sein', aber das brachte ich nicht fertig, sie so anzulügen.
"Ich versuche, ihn zu vergessen", sagte ich. Und das war noch nicht einmal gelogen. Doris blickte mich lange an. Mir wurde richtig unwohl dabei, vielleicht kann sie ja Gedanken lesen. "Ich hoffe, du tust Nils nicht weh", sagte sie. "Ich hoffe es für ihn und ich hoffe es für dich. Und für uns letztlich auch. Denn wenn du irgendwelchen Mist baust, dann kannst du sicher sein, kenne ICH dich nicht mehr."
Zum ersten Male seit langer Zeit sah ich wieder so etwas wie ein zorniges Funkeln in Doris' Augen.
Ich umarmte sie. "Ich finde es lieb, daß du so auf uns aufpaßt", murmelte ich.
"Wer weiß, vielleicht können Schwule ja irgendwann mal heiraten. Dann möchte ICH auf jeden Fall Trauzeugin sein."
"Das wirst du, hundertprozentig!"
Auf dem Heimweg hoffte ich, daß mir vielleicht ja Nils doch noch entgegenkommt. Aber nichts war. Zu Hause rief ich noch mal bei ihm an. Aber diesmal ging auch nicht seine Mutter ans Telefon. Seltsam, es ist jetzt schon fast zehn und er ist nicht da. Wo ist er denn?
Ich habe Robert angerufen. Ich wußte nicht mehr weiter. Ich MUSS mit jemandem reden. Die ganze Nacht habe ich wachgelegen. Ich muß jemandem sagen, was in mir vorgeht sonst werde ich noch wahnsinnig. Mit Doris kann ich nicht über diese Geschichte sprechen, sie würde mir den Kopf abreissen, nie wieder ein Wort mit mir reden und das alles wahrscheinlich sogar zu recht.
Das Schlimme ist nur, ich bin immer noch ganz weg und dieses Gefühl ist viel stärker als mein schlechtes Gewissen.
Robert kam angeschlurft und wir taperten ins Montepulciano. Ich war wirklich dankbar, daß er extra aus Stuttgart hergekommen war. Ich sagte ihm, daß ich nicht mehr weiter wüßte, und dann erzählte ich ihm die ganze Story. Es ist total seltsam. Da saß ich mit einem eigentlich absolut Fremden und ich erzähle ihm, wie ich meinen Freund betrogen habe, daß ich mich in einen anderen Typen verknallt habe und daß ich absolut nicht mehr weiter weiß. Roberts Blick verdüsterte sich, je mehr ich ihm erzählte.
"Wie soll denn das jetzt weitergehen?" wollte er wissen.
"Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung."
"Wie lange bleibt dieser Typ noch hier?"
"Ich glaube, nur noch bis Mittwoch."
"Und was bedeutest du ihm?"
"Wie soll ich denn das wissen? Wir haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen."
"Du bist entweder total bekloppt oder wirklich hoffnungslos verknallt."
"Toll, auf die Idee bin ich auch schon gekommen."
"Wobei es bei beiden Optionen auf's Gleiche herauskommt. Vergiß ihn. Vergiß ihn und zwar ganz schnell. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du einen Freund. Ein sehr lieben Freund, der vielleicht mit seinem eigenen schwulen Bild noch nicht ganz so weit ist, daß er wie dieser Heiko in eine schwule Jugendgruppe rennt, aber doch auf jeden Fall jemand, der dich ganz heftig liebt. Und den du wahrscheinlich bis vor Kurzem auch geliebt hast."
"Ich liebe ihn noch immer."
"Umso klarer muß doch deine Entscheidung sein. Meine Güte, komme doch mal runter von deiner Wolke 7. WAS, um alles in der Welt willst du eigentlich mehr? Du lebst in diesem piefigen schwäbischen Dorf, das noch spießiger und langweiliger ist als Stuttgart und du hast einen Freund. Einen Freund!" Fast schrie er es heraus. "Das willst du auf's Spiel setzen für einen Typen, der ein paar hundert Kilometer weit weg lebt, der dich nicht mal geküßt hat beim Sex und der danach gleich wieder zur Tagesordnung übergegangen ist? Man müßte dich nehmen und schütteln!"
Er hatte sich richtig in Wut geredet, sein Gesicht war knallrot geworden. Er hat ja so recht. Das Dumme ist nur, daß meine Gefühle für Heiko dadurch nicht weniger werden. Wenigstens kommt so allmählich wieder etwas Ordnung in meinen Kopf.
"Soll ich es Nils sagen?"
Robert zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn ja nicht. Aber von dem, was du erzählst würde ich fast vorschlagen, daß du ihm nichts von der Sache erzählst."
Das überraschte mich. Robert, der Wahrhaftige riet mir, Nils nichts zu sagen.
"Wenn er schon so einen Terz gemacht hat, nur weil wir zusammen in Stuttgart im Café gequatscht haben, dann kann man sich ja ausmalen, was passiert, wenn du ihm die Sache mit Heiko erzählst. Und dann hast du nichts mehr: dein Nils ist weg und dein großer, toller Heiko sitzt irgendwo in Köln-Worringen und greift sich den nächsten Typen. Ich weiß, das klingt jetzt total verlogen, aber ich denke, das wird die beste Lösung sein."
Wir saßen uns schweigend gegenüber. Meine Gedanken kreisten um alle möglichen und unmöglichen Optionen. Ja ich dachte sogar für eine Sekunde daran, wie es wäre, nach Köln zu ziehen. Absoluter Schwachsinn, aber für einen Moment schoß es mir eben durch den Kopf.
Zum Abschied nahm er mir noch das Versprechen ab, daß ich ihn spätestens in einer Woche anrufen soll und ihm erzählen soll, wie es weitergegangen ist.
Ich brachte ihn noch bis zum Bahnhof. Von dort rief ich dann Nils an, doch der war nicht zu Hause. Ich wollte ihn eigentlich fragen, ob er mit zu Doris kommt. Seine Mutter meinte, sie würde es ihm ausrichten und vielleicht kommt er ja nach.
Doris saß mit ihrem Baby im Arm auf der Bank vor dem Haus. In der Abendsonne sah die Szene richtig ein wenig kitschig aus. Das Baby sieht von Tag zu Tag mehr nach echtem Baby aus. Das habe ich ihr natürlich nicht gesagt. Doris meint, sie wird erst frühestens in zwei Wochen wieder zur Schule können. Sie weiß noch nicht, wie das mit dem Schuljahr dann wird. Ob sie das alles nochmal machen muß oder wie. Ich finde den Gedanken, daß wir gar keine gemeinsamen Kurse haben werden nicht so toll. Aber vielleicht packt sie es ja doch noch.
"Und was ist mit nun diesem Typen aus Köln?"
Am liebsten hätte ich geantwortet: 'Was soll denn mit dem sein', aber das brachte ich nicht fertig, sie so anzulügen.
"Ich versuche, ihn zu vergessen", sagte ich. Und das war noch nicht einmal gelogen. Doris blickte mich lange an. Mir wurde richtig unwohl dabei, vielleicht kann sie ja Gedanken lesen. "Ich hoffe, du tust Nils nicht weh", sagte sie. "Ich hoffe es für ihn und ich hoffe es für dich. Und für uns letztlich auch. Denn wenn du irgendwelchen Mist baust, dann kannst du sicher sein, kenne ICH dich nicht mehr."
Zum ersten Male seit langer Zeit sah ich wieder so etwas wie ein zorniges Funkeln in Doris' Augen.
Ich umarmte sie. "Ich finde es lieb, daß du so auf uns aufpaßt", murmelte ich.
"Wer weiß, vielleicht können Schwule ja irgendwann mal heiraten. Dann möchte ICH auf jeden Fall Trauzeugin sein."
"Das wirst du, hundertprozentig!"
Auf dem Heimweg hoffte ich, daß mir vielleicht ja Nils doch noch entgegenkommt. Aber nichts war. Zu Hause rief ich noch mal bei ihm an. Aber diesmal ging auch nicht seine Mutter ans Telefon. Seltsam, es ist jetzt schon fast zehn und er ist nicht da. Wo ist er denn?
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