Donnerstag, 10. April 1997

10. April

"Toll, nicht wahr? Habe ich selbst gemacht!" Doris präsentierte uns Lena, ihr Baby.
"Nun ja, wohl nicht ganz selber, Clemens hat ja wohl geholfen, oder?"
Doris warf ein Kissen nach mir: "Du bist unmöglich", lachte sie, "eine Wöchnerin so zu verarschen. Das gehört sich nicht."
Wow, ich habe den Begriff Wöchnerin gelernt. Was es nicht alles für seltsame Dinge gibt. Auf jeden Fall sieht Lena total klein und verschrumpelt aus, aber auch total niedlich. Ich kann mich gerade noch erinnern, wie es war, als Lisa geboren wurde. Sie hatte schon voll viel Haare auf dem Kopf und alle Leute meinten, daß sie mal der totale Lockenkopf werden wird, was ja auch stimmte. Naja, jedenfalls hat Lena noch keine oder nur ganz wenig Haare auf dem Kopf. Doris hat sie mir sogar mal zum Halten gegeben, was mir gar nicht so recht war, weil ich total Angst hatte, daß ich sie fallenlasse oder irgendwie nicht richtig halte. Das mit Lisa ist dann doch schon eine ganze Weile her. Auf jeden Fall funktioniert das Baby und Doris sieht richtig glücklich aus. Als sie Lena an ihre Brust anlegte, wurde ich etwas verlegen.
"Damit die Milch richtig einschießt", meinte Doris. So, so. Irgendwie hat die Natur bestimmte Sachen schon seltsam geregelt. Nils stand die meiste Zeit nur unsicher grinsend in der Ecke.
"Und ihr zwei, wann bekommt ihr ein Kind?"
Nils und ich guckten uns an und prusteten los. Doris Zimmernachbarin guckte verwirrt zu uns herüber. Dummerweise war ich so angegackert, daß ich auch noch meinte: "Naja, schwanger bin ich ja schon."
Das brachte nun wiederum Doris zum Lachen.
Es war ein total schöner Nachmittag. Als wir die Station verließen, war es schon halb fünf. Wir beschlossen, das Training ausfallen zu lassen und statt dessen Eis essen zu gehen. Ein Weltwunder: Nils ließ das Training ausfallen. Das wird mir jetzt eigentlich erst so richtig klar. Aber die Sonne schien tatsächlich so schön, der Frühling scheint ganz langsam zu kommen und ich fand es einfach toll, mit meinem Nils im Piccola Venezia zu sitzen und einen Rieseneisbecher zu löffeln.
"Eigentlich ist so ein Baby ja doch was niedliches", meinte Nils.
"Ja, aber eigentlich auch ziemlich unpraktisch."
"Unpraktisch?"
"Na ja, schau mal, so ein Baby kann noch keinen Staublappen halten, kann nicht aufräumen oder abwaschen. Also nützlich ist es doch in dem Alter noch gar nicht."
Nils guckte mich völlig verstört an: "Also ich glaube ich möchte mal Kinder haben."
Rumms, das verblüffte mich nun total.
"Wo sollen die denn herkommen?" wollte ich wissen.
"Ich weiß es nicht. Aber irgendwie, Kinder gehören doch zu einer Familie."
Mich überkam wieder dieser komische Gefühl. Was redete denn Nils von Familie? Was für eine Familie? Am liebsten hätte ich ihm gesagt, daß wir nie Kinder haben werden. Nicht nur aus biologischen Gründen, sondern weil wir erstens garantiert keines adoptiert bekämen und ich zweitens auch niemals eines würde adoptieren wollen. Was soll denn das? Zwei Schwule und ein Kind? So ein Quark. Von was einer Familie träumte denn Nils? Ich hätte ihn ja gerne gefragt, aber ich weiß, daß das wieder eine totale Problemdiskussion geworden wäre.

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