Donnerstag, 1. Januar 1998

1. Januar

"Sollen wir?", flüsterte mir Nils ins Ohr.
"Ich weiß nicht. Was meinst du?"

Party total. Abheben und einfach feiern. Einfach drauflos. Beck's bis zum Abwinken, und tanzen bis zum Umfallen, schon wieder. Zwischendurch Hunger. Nils und ich rennen die halbe Reeperbahn hoch, um den Super-Croque-Monsieur mit Ananas und Käse zu holen. Und das, wo wir uns ja am Mittag nach unserer Koch-Session den Bauch vollgeschlagen haben. Mitternacht, Silvester. Raus auf die Straße. Eine total komische Stimmung. Eigentlich nicht wirklich schön. Ich wäre viel lieber mit Nils alleine gewesen. Irgendwo. Am Strand, ganz alleine. Oder auch irgendwo im Bett. Wir hielten uns fest und schauten uns das Feuerwerk an. Dann doch wieder schön, ihn zu spüren, einfach im Arm zu halten. Wieder zurück in den Club, noch mehr Bier. Dann sprach unser dieser Typ an. Nick. Er hatte uns schon die ganze Zeit so komisch angeguckt. Aber er sah irgendwie niedlich aus. Nein, niedlich ist falsch. Er sah geil aus. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Es gibt Typen, die muß ich nur angucken und schon kriege ich einen Ständer. Und dieser Typ war so jemand. Jedenfalls kam er irgendwann zu uns rüber: "Hey, seid ihr befreundet?"
"Kann man so sagen", gluckste Nils.
"Na ich meine so richtig. Ich meine, seid ihr schwul?"
"Sieht man das nicht?" Das Bier macht mutig, vielleicht leichtsinnig.
"Ich auch, ich heiße Nick. Aber ihr seid nicht von hier, was?"
"Waaas? Ich bin von hier. Ich bin so von hier, hierer geht's scho' nimmer."
"Aha, 'geht's scho' nimmer' wo kommt ihr denn her? Aus Bayern?"
Ich kriege eine meiner Krisen: "Ich komme nicht aus Bayern, ich komme hier aus Hamburg, Rothenbaum und Hausbruch. Ich krieg' ja gleich nen Rappel!" Zum Glück war ich so ins hanseatische Platt gerutscht, daß er mir wohl glaubte.
"Hab' euch jedenfalls noch nie hier gesehen."
Es war mir einfach zu aufwendig, alles zu erklären. Nils hing an meinem Arm und kicherte nur noch.
"Wir gehen auch sonst eher mehr in die Tofa."
Nick nickte. Er konnte natürlich nicht wirklich wissen, was ich damit meinte.
"Was macht ihr denn heute Abend noch?"
"Wie? Machen?"
"Na, wollt ihr noch weiterziehen, oder was?"
"Keine Ahnung", ich blickte Nils an. Der zuckte auch nur mit den Schultern.
"Dann laßt uns doch zu mir gehen. Da können wir ja weiterfeiern." Er brauchte irgendwie nichts zu sagen. Ich wußte genau, was er meinte. "Ich hol mir noch ein Bier, ihr könnt's euch ja solange überlegen."
"Sollen wir?", flüsterte mir Nils ins Ohr
"Ich weiß nicht. Was meinst du?"
Ich wollte. Und ich sah, daß Nils auch wollte. Wir guckten uns an. Was sollten wir machen?
"Oh Shit, ich bin echt geil und ich hab Bock. Aber ich weiß nicht, ob das ok ist? Meinst du, das sollen wir machen?"
Nick kam zurück: "Und wie sieht's jetzt aus? Kommt ihr noch mit zu mir?"
"Ok", meinte Nils, "dann los. Wo steht dein Auto?" Ich war etwas übergerascht von Nils' eindeutiger Reaktion, aber irgendwie war ich auch dankbar, daß ER die Entscheidung getroffen hat.
"Ich hab kein Auto, wir müssen gucken, ob wir ein Taxi kriegen, oder so. Ich wohne in Klein Flottbek."
"Klein Flottbek, wie das nun wieder klingt", murmelte Nils.
"BEEEEK! Mit langem E. Ohne C-K!"
"Ja doch, schon gut. Zum Ficken ist es ja wohl egal, ob es Flottbeck oder Flottbeeeeek heißt."
Das Bier. Es ist das Bier bei Nils, dachte ich.
Wir bekamen ein Taxi und waren ziemlich schnell bei Nick in der Wohnung. Ziemlich chaotisch und klein. Shit, was soll das nur werden, dachte ich. Auf der einen Seite war ich geil und hatte echt Lust. Auf der anderen Seite. Ich weiß nicht. Verdammt, auf der anderen Seite, wenn ich mir überlege, daß Nils das auch toll finden könnte. Ich glaube, ich bin eifersüchtig. Und dann noch, was ist, wenn ich es total toll finde, was ist dann mit Nils. Das alles schoß mir durch den Kopf, als ich in Nicks Zimmer stand und er Bier aus der Küche holte.
"Ich will raus hier, ich will nur raus", flüsterte ich Nils zu und zog ihn hinter mich her.
"Ich bin zu müde, ich hab' keinen Bock mehr", rief ich dem verdutzt guckenden Nick zu, als wir durch die Wohnungstür verschwanden. Da standen wir also, Nils und ich vor einem dieser scheußlichen Mehrfamilienblocks, es war kalt, es war naß. Ich war geil und trotzdem hatte ich Angst. Angst davor, daß es Nils gefallen könnte, daß es mir gefallen könnte. Nils guckte mich total verwirrt an.
"Sorry! Shit! Ich weiß, es ist total daneben. Es tut mir leid. Aber ich kann nicht. Verdammt, ich kann nicht. Ich liebe dich doch."
Nils nahm mich in den Arm: "Ist doch gut. Vielleicht ist es ja gut so."
"Shit, was der Typ wohl jetzt von uns denkt."
"Ich glaube, das ist mir ziemlich egal. Wir werden ihn wohl kaum wiedersehen, oder? Aber wie kommen wir hier weg? Gibt es hier irgendwo einen Taxistand?"
"Keine Ahnung. Wir laufen einfach."
"Ist es weit?"
"Nö, nicht sehr weit. Fast um die Ecke."
War natürlich etwas übertrieben. Aber Nils nörgelte nicht, als wir durch das nächtliche Hamburg taperten. Das wäre unser erster Dreier gewesen und ich habe gekniffen. Aber irgendwie tut es mir nicht leid. Vielleicht wird es ja irgendwann passieren. Aber nicht jetzt. Nicht hier.

Oma ist einfach toll. Sie hatte uns am Morgen so eine Art Katerfrühstück hingestellt. Also Nils, Phil und mir. Frühstück ist auch nicht ganz richtig. War schon fast ein kaltes Buffett. Nils und ich haben ein bissele Schwierigkeiten gehabt, Phil zu erklären, wieso wir plötzlich verschwunden waren. Naja, irgendwie haben wir es dann doch hingekriegt. Jetzt sitze ich hier und schreibe Tagebuch. Nils ist zusammen mit Phil im Garten und sie spielen mit dem Hund von Omas Nachbarn, die zu Besuch sind. Ich gucke aus dem Fenster. Eigentlich möchte ich runtergehen. Aber irgendwas hält mich hier fest. Ich finde es schön, ihm einfach nur zuzuschauen. Meinem Nils

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