Sonntag, 29. Dezember 1996

29. Dezember

"Ok, ich hau ab."
Es war halb sechs Uhr früh und Phil turtelte immer noch mit dieser komischen Blondine rum. Ich kam mir reichlich überflüssig vor und so setzte ich mich ab. Es wurde langsam hell. Eigentlich hasse ich es, aus einem Laden zu kommen, wenn es hell wird. Es ist, als wenn ich ein Stück meines Lebens versäumt habe. Ich weiß gar nicht, wie ich das erklären soll. Jedenfalls bin ich auf die verrückte Idee gekommen, den ganzen Weg vom Grünspan bis zur Elbchaussee zu laufen. Es war kalt und es begann sogar ein wenig zu schneien. Aber ich genoß die Luft und es gab sogar so früh am Morgen ein bißchen Einsamkeit. Ich hatte Zeit zum Nachdenken. Und mir gingen so viele Sache durch den Kopf. Natürlich zuallererst Nils. Was er wohl machte? Was er wohl genau in diesem Augenblick machte? Ich stellte mir vor, wie er schlafend im Bett liegt. Nils mein Nils. Ich sehne mich so nach dir. Und noch eine andere Sache kommt mir immer wieder in den Kopf. Ich fange an, Satz für Satz ein Gespräch mit Tassi durchzuspielen, wo ich ihm sage, daß ich schwul bin. Es ist, als wenn ich tatsächlich im Kopf so was wie ein Theaterstück schreibe. Jeden Satz, jede Reaktion spiele ich durch. Ich habe auf jede Frage eine Antwort, auf jedes Argument, was er bringen könnte eine Erklärung. Gerade als ich die Auffahrt hochkomme fällt der Vorhang. Ein seltsames Stück mit zig verschiedenen Verläufen. Selten waren Dinge in meinem Kopf so klar. Ich war so sehr mit den ganzen Sachen beschäftigt, daß ich völlig gedankenverloren an Oma vorbeilief. "Junge, wo kommst du denn her? Du bist ja ganz rot im Gesicht." Ich schreckte auf. Ich erklärte ihr, daß ich einen etwas längeren Spaziergang gemacht hätte und sie schüttelte den Kopf: "Na dann schnell ab mit dir in die heiße Wanne, bevor du dir noch den Tod holst." Doch mir war nicht kalt. Dieser lange Spaziergang hatte meine Gedanken wieder klar gemacht.

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