Samstag, 26. Oktober 1996
26. Oktober
"Tim, aufwachen."
Ein Flüstern, ein sanfter Kuß auf meine Stirn. Nein, es war kein Traum. Ich schlage die Augen auf und blicke in Nils' Gesicht. Er lächelt. Wir liegen in diesem elendig zu kleinen Bett, unsere Sachen auf dem Boden verstreut. Mir ist kalt. Draußen wird es langsam hell. Ich merke, wie diese typische Jugendherbergs-Pferdedecke kratzt und kuschele mich an Nils. "Wir müssen aufstehen, bevor die anderen aus unserem Zimmer wach werden." Ich nicke. Wir ziehen uns an, versuchen den Schrank wieder halbwegs zu reparieren ("Der ist kaputt GEGANGEN"). Draußen auf dem Gang gucken wir uns etwas ratlos an. "Was machen wir denn nun? Wir können doch nicht einfach so ins Zimmer tapern, oder?"
"Dann laß uns wenigstens rasch duschen."
Wir huschen in den Waschraum. Zum ersten Mal seit gestern habe ich Angst, daß uns jemand zusammen sieht. Ständig bin ich mit einem Ohr draußen auf dem Flur. Zum Glück hat irgend jemand sein Duschzeug vergessen, das wir benutzen können. Langsam taut die Wärme der Dusche mich wieder auf. Ich schaue zu Nils rüber. Unsere Blicke treffen sich. Eine lange Umarmung, ein langer Kuß. "Wir müssen aufpassen", flüstert er. Ich nicke. Dann stehen wir da und uns wird plötzlich klar, daß wir keine Handtücher dabei haben. "Ich hole sie", meint Nils, zieht sich seine Shorts an und verschwindet in Richtung Zimmer. Ab heute wird alles anders. Wird ab heute alles anders? Langsam gibt der Wasserdampf den Spiegel frei. Ich kann keine Veränderung an mir feststellen. Das war meine erste Nacht mit einem Jungen. Irgendwie muß ich lächeln. So habe ich sie mir bestimmt nicht vorgestellt. Nur, wie habe ich sie mir überhaupt vorgestellt? Ich blicke wieder in den Spiegel. Bin ich gewachsen? War da schon immer dieses Leuchten in meinem Gesicht? Ich atme tief durch und zum ersten Mal seit, ich weiß nicht wie langer Zeit, kann ich so tief durchatmen wie ich möchte. Nichts zwängt mich mehr ein. Ich fühle mich frei, frei und leicht. Ich glaube ich könnte fliegen.
Nils kommt mit Handtüchern zurück. Inzwischen bin ich schon fast trocken. Bevor wir aus dem Waschraum tapern noch ein Kuß. Wir wissen, daß wir ab jetzt aufpassen müssen.
Im Speisesaal ist noch niemand. Nur in der Küche wird schon rumort. Es ist ein komisches Gefühl. Wir sitzen uns gegenüber und wollen eigentlich so viel miteinander reden doch wir bekommen kein Wort heraus. Ich weiß gar nicht, ob es die Angst ist, etwas Dummes zu sagen, sich zu blamieren oder ob es einfach die Angst vor den Anderen ist, die jeden Moment reinkommen können. Ich stehe auf und gehe zur Tür: "Ich brauche mal ein bißchen frische Luft." Nils guckt mich fragend an, fast ängstlich. Ich beruhige ihn mit einem Lächeln und einem Blick in seine Augen. Dann stehe ich draußen. Die Luft ist salzig. Mir kommt es so vor, als wäre der Wind frischer als sonst. Ich gehe ein paar Schritte. Es ist, als wenn jemand über Nacht einen Schleier zerrissen hätte. Plötzlich erscheint mir alles ganz klar und echt.
Ein paar Mädels kommen mir entgegen. Ich sehe Doris. Ich laufe auf sie zu, nehme sie an der Hand und ziehe sie mit mir. "Was um alles in der Welt ist denn los mit?" Ich laufe hinauf zum Olymp, sie im Schlepptau. Als wir endlich oben sind umarme ich sie einfach. Sie schaut mich verwirrt an: "Geht es dir noch gut?"
"Mir geht es gut, gut, gut, gut, guuuuuut!" rufe ich und wirbele sie herum. "Ich war ein Arsch in den letzten Tagen. Sorry. Aber jetzt geht es mir einfach nur super!" Ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht: "Was ist passiert?"
"ES ist passiert!"
"Und wer ist der Glückliche?"
Ich blicke sie nur lachend an.
"Nein, sag jetzt bloß nicht Nils?"
Ich schweige und strahle nur.
"Das kann doch nicht wahr sein." Sie schüttelt den Kopf. Dann umarmt sie mich und drückt mich kräftig: "Ich freue mich so für dich. Wirklich. Auf daß es ganz, ganz lange so bleibt."
Der Speisesaal ist schon voll. Als ich mit Doris reinkomme zieht er für eine Sekunde lang die Stirn kraus. Dann setzt er wieder sein cooles "Ich-bin-Nils-und-wer-bist-du-Face" auf. Unsre Blicke treffen uns ein paar Mal. Nur kurz, für den Bruchteil von Sekunden. Wir haben beide Angst, daß jemand etwas merkt.
11:30
Gerade eben sind die Bottroper abgefahren. Ich sah Manuel am Fenster des Busses. Und mir war so, als würde er traurig aussehen. Ich merke, wie böse schadenfroh ich bin: 'Ja, verschwinde, verpiß dich, hau ab', denke ich. Ich erschrecke vor mir selbst. Der Bus fährt ab. Nils winkt nicht. Mir geht es gut.
23:50
"Hier treibst du dich also rum."
Nils' Worte kamen kaum gegen den Sturm an. Ich saß am Strand und blickte auf das mondbeschienene silbrige Meer. Nils umarmte mich von hinten und küßte meinen Nacken: "Du wirst dir noch den Tod holen."
"Ach was. Mir passiert nichts. Das Meer beschützt mich."
Er drückte mich fest an sich: "Von jetzt ab", flüsterte er in mein Ohr, "beschütze ich dich."
Ein warmes Gefühl durchströmte mich. Wir küßten uns, rollten uns im Sand. Ich nahm seine kalten Hände um sie zu wärmen. "Wieso", fragte ich, "wieso hast du mir nie etwas gesagt?"
Er zuckte. Nach einer Weile antwortete er: "Wieso hast DU nichts gesagt?"
Ich war verwirrt, daß er mit einer Gegenfrage antwortete. "Ich habe jedenfalls nicht permanent von irgendwelchen Mädchen erzählt." Shit, das klang total zickig und vorwurfsvoll und so hatte er es auch aufgenommen. Er zog seine Hände weg und guckte in eine andere Richtung. "Immerhin warst du es, der mich dazu gebracht hat."
"Ich? Wieso denn ich?"
"Erinnerst du dich an diese eine Unterhaltung nach dem Krafttraining?"
Ich nickte.
"Du hast dich darüber lustig gemacht, daß ich noch Jungfrau bin."
"Ich habe mich nicht lustig gemacht. Ich war nur erstaunt."
Schweigen
"Du willst doch nicht etwa sagen, daß du deshalb angefangen hast, mit Mädels rumzuficken?"
"Tim, du bist ordinär", sagte er angewidert.
Shit, ich konnte wirder meinen vorlauten Mund nicht halten. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Also nahme ich ihn in den Arm und drückte ihn ganz fest an mich: "Es ist doch nur", ich merkte, wie mir wieder die Tränen in die Augen stiegen. Ich schluckte. "Ich hab dich lieb. Ich glaube schon seit ich dich das erste mal gesehen habe. Und ich hatte doch keine Ahnung." Ich merkte, wie ich ihn wieder zurück bekam. Ich wollte ihn eigentlich noch so viel fragen. Doch ich hatte Angst, wieder etwas Falsches zu sagen. Und so saß ich einfach da, hielt meinen Nils in den Armen und war glücklich. Irgendwann merkte ich, wie er zitterte. "Du frierst?"
Er nickte. Wir gingen zurück. Kurz vor den Häusern gaben wir uns noch einen langen Kuß. "Ich will dich nie mehr loslassen", flüsterte er.
"Na, in welchem Mädchenzimmer ward ihr denn heute Abend?" fragte Max grinsend. Es schien, als wenn er die letzten Bierreserven aufgebraucht hatte.
"Das, wird nicht verraten", meinte ich, "geniessen und schweigen."
Jetzt ist tatsächlich das Licht aus. Ich schreibe mit Taschenlampe. Nils hat einmal ganz kurz seinen Arm von oben runterhängen lassen. Ich habe seine Hand gedrückt. Ein stummes Zeichen. Schlaf' gut, mein Nils. Ich habe dich lieb!
Ein Flüstern, ein sanfter Kuß auf meine Stirn. Nein, es war kein Traum. Ich schlage die Augen auf und blicke in Nils' Gesicht. Er lächelt. Wir liegen in diesem elendig zu kleinen Bett, unsere Sachen auf dem Boden verstreut. Mir ist kalt. Draußen wird es langsam hell. Ich merke, wie diese typische Jugendherbergs-Pferdedecke kratzt und kuschele mich an Nils. "Wir müssen aufstehen, bevor die anderen aus unserem Zimmer wach werden." Ich nicke. Wir ziehen uns an, versuchen den Schrank wieder halbwegs zu reparieren ("Der ist kaputt GEGANGEN"). Draußen auf dem Gang gucken wir uns etwas ratlos an. "Was machen wir denn nun? Wir können doch nicht einfach so ins Zimmer tapern, oder?"
"Dann laß uns wenigstens rasch duschen."
Wir huschen in den Waschraum. Zum ersten Mal seit gestern habe ich Angst, daß uns jemand zusammen sieht. Ständig bin ich mit einem Ohr draußen auf dem Flur. Zum Glück hat irgend jemand sein Duschzeug vergessen, das wir benutzen können. Langsam taut die Wärme der Dusche mich wieder auf. Ich schaue zu Nils rüber. Unsere Blicke treffen sich. Eine lange Umarmung, ein langer Kuß. "Wir müssen aufpassen", flüstert er. Ich nicke. Dann stehen wir da und uns wird plötzlich klar, daß wir keine Handtücher dabei haben. "Ich hole sie", meint Nils, zieht sich seine Shorts an und verschwindet in Richtung Zimmer. Ab heute wird alles anders. Wird ab heute alles anders? Langsam gibt der Wasserdampf den Spiegel frei. Ich kann keine Veränderung an mir feststellen. Das war meine erste Nacht mit einem Jungen. Irgendwie muß ich lächeln. So habe ich sie mir bestimmt nicht vorgestellt. Nur, wie habe ich sie mir überhaupt vorgestellt? Ich blicke wieder in den Spiegel. Bin ich gewachsen? War da schon immer dieses Leuchten in meinem Gesicht? Ich atme tief durch und zum ersten Mal seit, ich weiß nicht wie langer Zeit, kann ich so tief durchatmen wie ich möchte. Nichts zwängt mich mehr ein. Ich fühle mich frei, frei und leicht. Ich glaube ich könnte fliegen.
Nils kommt mit Handtüchern zurück. Inzwischen bin ich schon fast trocken. Bevor wir aus dem Waschraum tapern noch ein Kuß. Wir wissen, daß wir ab jetzt aufpassen müssen.
Im Speisesaal ist noch niemand. Nur in der Küche wird schon rumort. Es ist ein komisches Gefühl. Wir sitzen uns gegenüber und wollen eigentlich so viel miteinander reden doch wir bekommen kein Wort heraus. Ich weiß gar nicht, ob es die Angst ist, etwas Dummes zu sagen, sich zu blamieren oder ob es einfach die Angst vor den Anderen ist, die jeden Moment reinkommen können. Ich stehe auf und gehe zur Tür: "Ich brauche mal ein bißchen frische Luft." Nils guckt mich fragend an, fast ängstlich. Ich beruhige ihn mit einem Lächeln und einem Blick in seine Augen. Dann stehe ich draußen. Die Luft ist salzig. Mir kommt es so vor, als wäre der Wind frischer als sonst. Ich gehe ein paar Schritte. Es ist, als wenn jemand über Nacht einen Schleier zerrissen hätte. Plötzlich erscheint mir alles ganz klar und echt.
Ein paar Mädels kommen mir entgegen. Ich sehe Doris. Ich laufe auf sie zu, nehme sie an der Hand und ziehe sie mit mir. "Was um alles in der Welt ist denn los mit?" Ich laufe hinauf zum Olymp, sie im Schlepptau. Als wir endlich oben sind umarme ich sie einfach. Sie schaut mich verwirrt an: "Geht es dir noch gut?"
"Mir geht es gut, gut, gut, gut, guuuuuut!" rufe ich und wirbele sie herum. "Ich war ein Arsch in den letzten Tagen. Sorry. Aber jetzt geht es mir einfach nur super!" Ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht: "Was ist passiert?"
"ES ist passiert!"
"Und wer ist der Glückliche?"
Ich blicke sie nur lachend an.
"Nein, sag jetzt bloß nicht Nils?"
Ich schweige und strahle nur.
"Das kann doch nicht wahr sein." Sie schüttelt den Kopf. Dann umarmt sie mich und drückt mich kräftig: "Ich freue mich so für dich. Wirklich. Auf daß es ganz, ganz lange so bleibt."
Der Speisesaal ist schon voll. Als ich mit Doris reinkomme zieht er für eine Sekunde lang die Stirn kraus. Dann setzt er wieder sein cooles "Ich-bin-Nils-und-wer-bist-du-Face" auf. Unsre Blicke treffen uns ein paar Mal. Nur kurz, für den Bruchteil von Sekunden. Wir haben beide Angst, daß jemand etwas merkt.
11:30
Gerade eben sind die Bottroper abgefahren. Ich sah Manuel am Fenster des Busses. Und mir war so, als würde er traurig aussehen. Ich merke, wie böse schadenfroh ich bin: 'Ja, verschwinde, verpiß dich, hau ab', denke ich. Ich erschrecke vor mir selbst. Der Bus fährt ab. Nils winkt nicht. Mir geht es gut.
23:50
"Hier treibst du dich also rum."
Nils' Worte kamen kaum gegen den Sturm an. Ich saß am Strand und blickte auf das mondbeschienene silbrige Meer. Nils umarmte mich von hinten und küßte meinen Nacken: "Du wirst dir noch den Tod holen."
"Ach was. Mir passiert nichts. Das Meer beschützt mich."
Er drückte mich fest an sich: "Von jetzt ab", flüsterte er in mein Ohr, "beschütze ich dich."
Ein warmes Gefühl durchströmte mich. Wir küßten uns, rollten uns im Sand. Ich nahm seine kalten Hände um sie zu wärmen. "Wieso", fragte ich, "wieso hast du mir nie etwas gesagt?"
Er zuckte. Nach einer Weile antwortete er: "Wieso hast DU nichts gesagt?"
Ich war verwirrt, daß er mit einer Gegenfrage antwortete. "Ich habe jedenfalls nicht permanent von irgendwelchen Mädchen erzählt." Shit, das klang total zickig und vorwurfsvoll und so hatte er es auch aufgenommen. Er zog seine Hände weg und guckte in eine andere Richtung. "Immerhin warst du es, der mich dazu gebracht hat."
"Ich? Wieso denn ich?"
"Erinnerst du dich an diese eine Unterhaltung nach dem Krafttraining?"
Ich nickte.
"Du hast dich darüber lustig gemacht, daß ich noch Jungfrau bin."
"Ich habe mich nicht lustig gemacht. Ich war nur erstaunt."
Schweigen
"Du willst doch nicht etwa sagen, daß du deshalb angefangen hast, mit Mädels rumzuficken?"
"Tim, du bist ordinär", sagte er angewidert.
Shit, ich konnte wirder meinen vorlauten Mund nicht halten. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Also nahme ich ihn in den Arm und drückte ihn ganz fest an mich: "Es ist doch nur", ich merkte, wie mir wieder die Tränen in die Augen stiegen. Ich schluckte. "Ich hab dich lieb. Ich glaube schon seit ich dich das erste mal gesehen habe. Und ich hatte doch keine Ahnung." Ich merkte, wie ich ihn wieder zurück bekam. Ich wollte ihn eigentlich noch so viel fragen. Doch ich hatte Angst, wieder etwas Falsches zu sagen. Und so saß ich einfach da, hielt meinen Nils in den Armen und war glücklich. Irgendwann merkte ich, wie er zitterte. "Du frierst?"
Er nickte. Wir gingen zurück. Kurz vor den Häusern gaben wir uns noch einen langen Kuß. "Ich will dich nie mehr loslassen", flüsterte er.
"Na, in welchem Mädchenzimmer ward ihr denn heute Abend?" fragte Max grinsend. Es schien, als wenn er die letzten Bierreserven aufgebraucht hatte.
"Das, wird nicht verraten", meinte ich, "geniessen und schweigen."
Jetzt ist tatsächlich das Licht aus. Ich schreibe mit Taschenlampe. Nils hat einmal ganz kurz seinen Arm von oben runterhängen lassen. Ich habe seine Hand gedrückt. Ein stummes Zeichen. Schlaf' gut, mein Nils. Ich habe dich lieb!
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♥
AntwortenLöschenNu hatt es endlich geklappt! Schön. Sehr schön. Schöner als im Leben...? Soviel zum Thema authentisch!
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