Sonntag, 11. August 1996

11. August

1:35
"Grazie della bella serata."
Ok, dieser Satz war nicht sonderlich cool. Aber was anderes gab mein Wörterbuch nicht her. Alles in allem war es eigentlich ein schöner Abend. Nee, das klingt komisch. Es war ein schöner Abend. Es ist halt nichts passiert. Aber was hatte ich denn erwartet? Daß wir uns in den Armen liegen? Na also. Wir sind zuerst durch den Ort gebummelt. Mit Hilfe des Wörterbuchs und mit Englisch haben wir es sogar geschafft, so etwas wie ein sinnvolles Gespräch zu führen. Jedenfalls weiß ich jetzt, daß er aus Rom kommt und hier mit seiner Familie im Feriendorf Urlaub macht. Ich finde den Gedanken, daß ein Italiener in Italien Urlaub macht schon seltsam. Danach sind wir zur Open-Air Disco gegangen. Aber das Ganze war irgendwie mehr zum Ablachen, weil da alles an Touris war, was sich in dem Feriendorf rumtrieb. Ich meine, es ist doch irgendwie lächerlich, wenn Leute, die so alt sind wie Mom und Dad auch noch nach Macarena tanzen. Was soll's. Stefan und die anderen waren auch da, aber ich hatte keine Lust, mit ihnen rumzuhängen und so bin ich dann mit Matteo eine halbe Ewgikeit am Strand spazieren gegangen. Es war richtig schön. Fast romantisch wenn, ja wenn er auch schwul wäre. Das heißt, ich weiß es nicht. Woher denn auch? Hätte ich ihn fragen sollen? Wohl kaum. Ok, ich war ein paar Mal kurz davor, ihn einfach ein den Arm zu nehmen, aber ich habe es mich dann doch nicht getraut. Jetzt hinterher frage ich mich natürlich, was ich schon zu verlieren gehabt hätte. Nein ehrlich, mal angenommen, ich hätte es probiert und es wäre daneben gegangen. Er wäre doch garantiert nicht laut schreiend durch die Gegend gerannt. Wir hätten uns nie wieder gesehen und das wäre es dann auch gewesen. Na toll, ja, jetzt wo ich das alles so lese ist es ja sooo klar und logisch. Shit. Aber so einfach ist es eben nicht. Und außerdem fehlte etwas. Es war wirklich schön und wir haben jede Menge gelacht (meine Güte, worüber eigentlich?), und ich habe ihm auch ein paar Mal tief in die Augen geguckt. Aber trotzdem fehlte da etwas, wie soll ich es beschreiben, es funkte nicht. Mein Herz bummerte nicht und mir war so, als wenn von ihm auch nichts zurück kam. Ach was schreibe ich denn für einen Mist. Vielleicht sollte ich einfach mal aufhören, jeden Jungen für schwul zu halten, mit dem ich näher zu tun habe.


22:30
Jetzt bin ich wirklich absolut fertig. Ein Tag Venedig reicht. Wenn ich wüßte, was die Leute an dieser stinkenden, vermoderten Stadt finden. Mom hat uns von Museum zu Museum und Platz zu Platz geschleift. Das alles bei dieser tierischen Hitze inmitten von Horden von anderen Touristen. Ich kann nicht mal sagen, was wir alles gesehen haben. Wobei eigentlich auch fast alles gleich aussah, also was soll's. Jedenfalls bin ich schon auf der Rückfahrt im Auto eingeschlafen. Naja, und jetzt gehe ich richtig ins Bett.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen