Mittwoch, 19. Juni 1996

19. Juni

"Na dann los."
Ich habe es nicht mehr ausgehalten, dieses Geschmolle von Doris. Ich hab ihr gesagt, wir müssen reden. Da saß sie also in meinem Zimmer und ich meinte: "Ok, ich geb zu, ich hab Scheiße gebaut."
Ok, ich habe es nicht ehrlich gemeint, doch bisher hat es eigentlich fast immer gewirkt.
"Ach ja? Und was glaubst du plötzlich wieso?"
"Na ja, ich hätte halt nicht mit ihr rummachen dürfen, obwohl ich gar nichts von ihr will", sagte ich und fühlte mich dabei absolut Scheiße, weil ich Doris nur vorspielte, daß es mir leid tut.
"Späte Erkenntnis."
"Mein Gott, ja! Denkst du denn, das ist alles so völlig easy für mich? Woher soll ich denn wissen, wie man sich da richtig verhält?"
"Du mußt gar nichts wissen. Du sollst nur nicht mit den Gefühlen von anderen Leuten spielen."
Rumms, Volltreffer! Andererseits spielen die Leute mit meinen Gefühlen auch ständig Pingpong. Warum soll ich es anders machen? Aber so was kann ich Doris nicht sagen.
"Ich hoffe du lernst daraus."
"Ja", sagte ich gequält. So langsam ging mir ihre Moralhaltung auf die Nerven. Doris nahm mich in den Arm und drückte mich. "Du kannst", flüsterte sie mir ins Ohr, "mit so vielen Jungs rummachen wie du willst. Aber wenn ich dahinter komme, daß du es mit einem Mädchen treibst, dann erwürge ich dich." Sie lachte, aber ich glaube fast, sie hat es ernst gemeint. Aber ich habe es geschafft, mich wieder mit ihr zu vertragen. Shit nur, daß ich sie dafür anlügen mußte. Denn eigentlich bin ich immer noch der Meinung, daß ich nix Schlimmes gemacht habe. Aber ich hatte einfach keine Lust auf eine stundenlange Diskussion mit ihr.

"Was machen deine Männer?" fragte sie
"Du bist gut. Welche Männer?"
"Ich weiß es nicht, darum frage ich ja."
"Es gibt niemanden und das ist voll Scheiße."
"Irgendwann wirst du schon jemanden finden." Na toll, auf solche Sätze stehe ich ja. Sie hat ja überhaupt keine Ahnung.
"Bist du wenigstens über die Sache mit Tobias weg?"
"Ja, es ist wieder ok. Ich gehe sogar am Freitag mit ihm zu einem Jazzkonzert."
"Du hörst Jazz?"
"Nee, nicht wirklich, aber er hat mich heute gefragt und gesagt, er kennt sonst niemanden, der mitkommen würde. Er tat mir halt leid und da hab ich zugesagt."
"Ich habe doch gesagt, du sollst nicht mit den Gefühlen anderer Leute spielen."
"Meine Güte, er ist nicht schwul und ich will auch wirklich nichts von ihm und wir gehen einfach nur zusammen in ein bestimmt nerviges Jazzkonzert."
"Aber du hast gesagt, daß er dir leid tut, und daß du deshalb mit ihm hingehst. Mensch sei doch mal ehrlich mit den Leuten!"
Borrh, dieses Mädel konnte aber auch was anstrengend sein. "Ich verspreche dir, daß ich nicht mit seinen Gefühlen spiele. Sofern da überhaupt irgendwelche vorhanden sind bei ihm. Ok? Ich habe im Augenblick nämlich wirklich andere Probleme, als mir darüber Gedanken zu machen."
"Und welche?"
"Das verstehst du nicht."
"Aha, na schönen Dank auch."
"Ach komm, nun werd nicht gleich wieder sauer. Aber was bringt das denn, wenn ich dir hier was vorheule? Daß ich mich permanent in irgendwelche Hetero-Jungs verknalle, an die ich sowieso nicht rankomme. Es ist einfach nur absolut Scheiße, wenn man niemand hat, den man in den Arm nehmen kann und mit dem man kuscheln kann."
"Ich kann dir keinen herbeizaubern."
"Siehst du und genau deshalb bringt es nichts, wenn ich dich hier volljammere."
"Du kennst hier wirklich keinen anderen, der auch schwul ist?"
"Ich kannte nicht mal in Hamburg jemanden, jedenfalls nicht richtig. Hier ist höchstens dieser eine Typ aus der Oberstufe."
"Wer?"
"Er ist in der Oberstufe, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Er hat totalen Schiß, daß jemand auch nur auf die Idee kommt, daß er schwul ist."
"Na siehst du, also kennst du doch jemanden."
"Das ist aber nun absolut nicht mein Typ."
"Ach nun bist du auch noch wählerisch."
"Was heißt denn wählerisch? Ich nehme doch nicht den Erstbesten nur weil der zufällig auch schwul ist. Du hast dir deinen Typen doch auch ausgesucht und nicht einfach irgend jemanden aus der Klasse genommen, wie Nils zum Beispiel." Ich weiß gar nicht, wieso mir plötzlich Nils rausrutschte.
"Ich hab mir niemanden AUSGESUCHT. Das ist doch nicht wie im Otto-Katalog. Es hat einfach Klick gemacht und wir beide waren hin und weg."
"Na siehst du, bloß bei mir macht es immer nur Klick in meinem Kopf und nicht bei dem anderen."
"Hat es bei Nils auch Klick gemacht?"
"Wieso ausgerechnet Nils?"
Shit, sie hatte es doch bemerkt.
"Du hast ihn eben erwähnt."
"Er war nur ein Beispiel, ich hätte auch Florian oder Walter sagen können."
Doris lachte: "Vergiß ihn! Er ist der absolute Mädchenheld, falls du es noch nicht mitgekriegt hast. Ich könnte dir auf Anhieb fünf Mädchen nennen, mit denen er schon zusammen war."
"Ja doch, ich bin ja nicht blöd." Mußte sie denn immer in irgendwelchen Wunden rumbohren?
"Wundert mich, daß du auf ihn abfährst. Ich dachte du stehst eher auf die ruhigeren Typen."
"Ich fahre nicht auf ihn ab", ich schrie sie fast an. So eine Scheiße, ich wollte es nicht zugeben.
"Ist ja schon gut, beruhige dich wieder. "Ich glaube, dir geht es im Moment echt nicht gut."
"Ach ja? Auch schon mitbekommen?"
Sie seufzte. SIE seufzte, nicht ich! Ich glaube das sagt ja nun alles.
"Wir werden schon jemanden für dich finden." Schon wieder dieses WIR. Ich werde noch mal irre. Sie nahm mich wieder in den Arm. "Halt die Ohren steif. Es wird schon", sagte sie zum Abschied. Und komisch, diesmal half es mir.

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