Dienstag, 28. Mai 1996
28. Mai
14:30
»Willst du nicht lieber fahren?« Ich war heute mit Phil bei Ikea, weil er noch ein paar Möbel braucht. Ich kann mich gar nicht erinnern, daß er so miserabel fährt. Ich meine, es ist klar, daß er sich hier ja nicht auskennt, aber ... ach, was soll's. Auf jeden Fall haben wir uns köstlich bei Ikea amüsiert. Eigentlich wollte er ja nur ein paar Regale und einen Schrank kaufen, aber wir mußten unbedingt die Betten testen. Eigentlich erstaunlich, daß wir nicht rausgeflogen sind. Na ja, auf dem Parkplatz dann das, was ich schon erwartet habe, wie kriegen wir das Ganze in Moms Auto? Die Rückfahrt über hatte ich das Ende eines Kartons im Nacken, aber wir haben es schließlich dann doch geschafft.
23:05
Ich weiß nicht, was mit Nils los ist. Er hat angerufen und mich zum Krafttraining »bestellt«. Na ja, ich bin hingegangen. Es war ganz o.k. Hinterher sind wir noch in die Halle gegangen. Es war seltsam, sie war völlig leer. Ich weiß nicht, wieso, irgend jemand ist eigentlich immer da. Wir haben ein paar Griffe trainiert. Irgendwann lagen wir völlig ausgepumpt auf der Matte, starrten beide an die Decke, als er plötzlich fragte: »Warum hast du eigentlich keine Freundin?« Shit, was sollte ich antworten? Ich ließ mein bewährtes »Pffff!« los. Das gab mir wenigstens ein paar Sekunden länger Zeit. »Guck dir doch die Leute hier an.« Ja, ich habe es tatsächlich geschafft »Leute« zu sagen und nicht Mädel. Na ja, gut, ist nicht sonderlich mutig. Aber nun konnte ich ihn wenigstens zurückfragen: »Und du? Mit welchem Mädel gehst du im Moment?«
»Mit keinem.«
Uff, das überraschte mich.
»Aber du hast schon ein paar gehabt?«
»Ja, aber nicht richtig.«
»Was meinst du mit richtig?« wollte ich wissen.
»Jedenfalls noch nicht gefickt.«
»Waas, du bist noch Jungfrau?« Ich erschreckte mich selber, so laut echote es in der Halle.
»Schrei nicht so, du Penner, willst du dich vielleicht auch noch auf den Markplatz stellen?«
»Sorry, tut mir leid, aber hier ist ja keiner. Ich bin halt nur so überrascht.«
»Wieso bist ausgerechnet du überrascht?«
»Was soll das denn nun wieder heißen?«
»Du bist doch auch Jungfrau, oder?«
»Ja, aber das ist was anderes. Schau dir doch bloß mal mein Gesicht an.«
»Wieso, was soll denn mit deinem Gesicht los sein?«
»Es ist häßlich, das ist los. Mit so einem Gesicht fickt niemand.«
Er prustete los, und ich wurde sauer. Ich drehte mich um und sah ihn an, wie er neben mir lag. Alles an ihm schien perfekt zu sein. Ich hätte ihn so gerne angefaßt, ihn gestreichelt, einfach in den Arm genommen.
»Du bist nicht häßlich«, sagte er, während er weiter an die Decke blickte. Ich weiß nicht, ob er das nur sagte, um nett zu sein, oder ob er es ernst meinte.
»Irgendwann hätte ich schon mal gern Sex.« Er verwirrte mich immer mehr.
»Irgendwann? Meine Güte, was machst du denn, wenn du mit den Mädels zusammen bist?«
»Ein bissele Rumknutschen, mehr nicht.«
Ich verstand die Welt nicht mehr: »Ein bissele Rumknutschen? Ist das alles, was du bisher gemacht hast? Warum bist du noch Jungfrau, kannst du mir das mal erklären?« Ich wurde wütend. Die Welt ergab auf einmal keinen Sinn mehr.
»Drehst du jetzt völlig durch?«
Ich weiß auch nicht, was mit mir passiert war, aber alles paßte irgendwie nicht mehr zusammen. Ich setzte mich hin: »Tut mir leid, aber ich verstehe es einfach nicht.« Nils setzte sich auch hin, guckte mich kurz an und sah dann durch mich hindurch: »Willst du wirklich einen Grund wissen?«
»Natürlich will ich das!«
»Laß mich mal nachdenken.« Er dachte nach. Eine halbe Ewigkeit. »Hmm, mir fällt kein Grund ein.« Ich hätte ihm eine scheuern können. Zum Glück fuhr er fort: »Ich bin wohl einfach noch nicht dazu gekommen. Wenn ich die Gelegenheit dazu hätte, würde ich sicher nicht nein sagen.«
Uff, mein Weltbild war wieder gerade gerückt. Plötzlich blickte er mich direkt an, aber ich konnte nicht in seinen Augen versinken, es schien, als würden sie kleine Blitze aussenden: »Was interessiert dich eigentlich mein Leben?« fragte er ziemlich kalt.
»Du hast angefangen zu fragen.«
»Aber ich bin nicht ausgerastet.«
»Sorry, ich habe mir einfach ein anderes Bild gemacht von dir.«
»Ach ja? Vielleicht will ich das aber gar nicht.« Was war denn nun mit ihm los?
Ich blickte ihm direkt in die Augen zurück. ›Tau auf, tau auf‹, dachte ich. Das dachte ich wirklich. Es war, als wenn ich versuchte, seinen eisigen Blick aufzutauen. Ich versuchte, ihm meine Gedanken zu schicken. Ich weiß nicht, wie lange wir so schweigend da gesessen haben, aber allmählich kam die Wärme in seine Augen zurück, ganz langsam war es wieder der Blick, in den ich eintauchen konnte. Ich merkte, wie ich schlucken mußte, mir begannen die Tränen in die Augen zu steigen. Ich war kurz davor, es ihm zu sagen. Mit einem Ruck holte ich mich zurück ins richtige Leben und buffte ihn an: »Wieder o.k.?«
»Wieder o.k.!« Nils grinste und warf sich auf mich. »Vielleicht«, sagte er, als er meine Schultern auf die Matte drückte, »vielleicht schaffen wir es ja wenigstens einen richtigen Ringer aus dir zu machen.«
Der Rest des Abends war zum Glück nur allgemeines Rumblödeln. Und nun liege ich hier und überlege, ob ich es ihm nicht vielleicht doch hätte sagen sollen. Scheiße, was bin ich doch für ein Feigling. Doch ich will ihn nicht verlieren. Und noch was frage ich mich: Bin ich tatsächlich noch Jungfrau? Ich meine, ich habe schon mit mehreren Typen rumgemacht. Nicht daß ich mit einem gefickt hätte, nein, das würde ich, glaube ich, sowieso nie machen. Aber ab wann ist man nicht mehr Jungfrau? Keine Ahnung, aber wenn das, was Nils gesagt hat, stimmt, habe ich wahrscheinlich schon mehr Sex gehabt als er. Irgendwie erstaunlich.
»Willst du nicht lieber fahren?« Ich war heute mit Phil bei Ikea, weil er noch ein paar Möbel braucht. Ich kann mich gar nicht erinnern, daß er so miserabel fährt. Ich meine, es ist klar, daß er sich hier ja nicht auskennt, aber ... ach, was soll's. Auf jeden Fall haben wir uns köstlich bei Ikea amüsiert. Eigentlich wollte er ja nur ein paar Regale und einen Schrank kaufen, aber wir mußten unbedingt die Betten testen. Eigentlich erstaunlich, daß wir nicht rausgeflogen sind. Na ja, auf dem Parkplatz dann das, was ich schon erwartet habe, wie kriegen wir das Ganze in Moms Auto? Die Rückfahrt über hatte ich das Ende eines Kartons im Nacken, aber wir haben es schließlich dann doch geschafft.
23:05
Ich weiß nicht, was mit Nils los ist. Er hat angerufen und mich zum Krafttraining »bestellt«. Na ja, ich bin hingegangen. Es war ganz o.k. Hinterher sind wir noch in die Halle gegangen. Es war seltsam, sie war völlig leer. Ich weiß nicht, wieso, irgend jemand ist eigentlich immer da. Wir haben ein paar Griffe trainiert. Irgendwann lagen wir völlig ausgepumpt auf der Matte, starrten beide an die Decke, als er plötzlich fragte: »Warum hast du eigentlich keine Freundin?« Shit, was sollte ich antworten? Ich ließ mein bewährtes »Pffff!« los. Das gab mir wenigstens ein paar Sekunden länger Zeit. »Guck dir doch die Leute hier an.« Ja, ich habe es tatsächlich geschafft »Leute« zu sagen und nicht Mädel. Na ja, gut, ist nicht sonderlich mutig. Aber nun konnte ich ihn wenigstens zurückfragen: »Und du? Mit welchem Mädel gehst du im Moment?«
»Mit keinem.«
Uff, das überraschte mich.
»Aber du hast schon ein paar gehabt?«
»Ja, aber nicht richtig.«
»Was meinst du mit richtig?« wollte ich wissen.
»Jedenfalls noch nicht gefickt.«
»Waas, du bist noch Jungfrau?« Ich erschreckte mich selber, so laut echote es in der Halle.
»Schrei nicht so, du Penner, willst du dich vielleicht auch noch auf den Markplatz stellen?«
»Sorry, tut mir leid, aber hier ist ja keiner. Ich bin halt nur so überrascht.«
»Wieso bist ausgerechnet du überrascht?«
»Was soll das denn nun wieder heißen?«
»Du bist doch auch Jungfrau, oder?«
»Ja, aber das ist was anderes. Schau dir doch bloß mal mein Gesicht an.«
»Wieso, was soll denn mit deinem Gesicht los sein?«
»Es ist häßlich, das ist los. Mit so einem Gesicht fickt niemand.«
Er prustete los, und ich wurde sauer. Ich drehte mich um und sah ihn an, wie er neben mir lag. Alles an ihm schien perfekt zu sein. Ich hätte ihn so gerne angefaßt, ihn gestreichelt, einfach in den Arm genommen.
»Du bist nicht häßlich«, sagte er, während er weiter an die Decke blickte. Ich weiß nicht, ob er das nur sagte, um nett zu sein, oder ob er es ernst meinte.
»Irgendwann hätte ich schon mal gern Sex.« Er verwirrte mich immer mehr.
»Irgendwann? Meine Güte, was machst du denn, wenn du mit den Mädels zusammen bist?«
»Ein bissele Rumknutschen, mehr nicht.«
Ich verstand die Welt nicht mehr: »Ein bissele Rumknutschen? Ist das alles, was du bisher gemacht hast? Warum bist du noch Jungfrau, kannst du mir das mal erklären?« Ich wurde wütend. Die Welt ergab auf einmal keinen Sinn mehr.
»Drehst du jetzt völlig durch?«
Ich weiß auch nicht, was mit mir passiert war, aber alles paßte irgendwie nicht mehr zusammen. Ich setzte mich hin: »Tut mir leid, aber ich verstehe es einfach nicht.« Nils setzte sich auch hin, guckte mich kurz an und sah dann durch mich hindurch: »Willst du wirklich einen Grund wissen?«
»Natürlich will ich das!«
»Laß mich mal nachdenken.« Er dachte nach. Eine halbe Ewigkeit. »Hmm, mir fällt kein Grund ein.« Ich hätte ihm eine scheuern können. Zum Glück fuhr er fort: »Ich bin wohl einfach noch nicht dazu gekommen. Wenn ich die Gelegenheit dazu hätte, würde ich sicher nicht nein sagen.«
Uff, mein Weltbild war wieder gerade gerückt. Plötzlich blickte er mich direkt an, aber ich konnte nicht in seinen Augen versinken, es schien, als würden sie kleine Blitze aussenden: »Was interessiert dich eigentlich mein Leben?« fragte er ziemlich kalt.
»Du hast angefangen zu fragen.«
»Aber ich bin nicht ausgerastet.«
»Sorry, ich habe mir einfach ein anderes Bild gemacht von dir.«
»Ach ja? Vielleicht will ich das aber gar nicht.« Was war denn nun mit ihm los?
Ich blickte ihm direkt in die Augen zurück. ›Tau auf, tau auf‹, dachte ich. Das dachte ich wirklich. Es war, als wenn ich versuchte, seinen eisigen Blick aufzutauen. Ich versuchte, ihm meine Gedanken zu schicken. Ich weiß nicht, wie lange wir so schweigend da gesessen haben, aber allmählich kam die Wärme in seine Augen zurück, ganz langsam war es wieder der Blick, in den ich eintauchen konnte. Ich merkte, wie ich schlucken mußte, mir begannen die Tränen in die Augen zu steigen. Ich war kurz davor, es ihm zu sagen. Mit einem Ruck holte ich mich zurück ins richtige Leben und buffte ihn an: »Wieder o.k.?«
»Wieder o.k.!« Nils grinste und warf sich auf mich. »Vielleicht«, sagte er, als er meine Schultern auf die Matte drückte, »vielleicht schaffen wir es ja wenigstens einen richtigen Ringer aus dir zu machen.«
Der Rest des Abends war zum Glück nur allgemeines Rumblödeln. Und nun liege ich hier und überlege, ob ich es ihm nicht vielleicht doch hätte sagen sollen. Scheiße, was bin ich doch für ein Feigling. Doch ich will ihn nicht verlieren. Und noch was frage ich mich: Bin ich tatsächlich noch Jungfrau? Ich meine, ich habe schon mit mehreren Typen rumgemacht. Nicht daß ich mit einem gefickt hätte, nein, das würde ich, glaube ich, sowieso nie machen. Aber ab wann ist man nicht mehr Jungfrau? Keine Ahnung, aber wenn das, was Nils gesagt hat, stimmt, habe ich wahrscheinlich schon mehr Sex gehabt als er. Irgendwie erstaunlich.
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