Sonntag, 21. April 1996
21. April
7:30
Cooler Abend. Viel Bier, und Silvio hatte ein paar Tanztabletten mitgebracht. Ich habe ewig abgedanct, sogar ohne T-Shirt. Irgendwann habe ich bemerkt, daß mich ein Junge die ganze Zeit anstarrte. Ich habe ihn angelächelt, und er lächelte zurück. Als ich vom Klo kam, stand er an den Waschbecken und lächelte mich wieder an. Ich weiß nicht warum, aber in dem Moment wußte ich ganz genau, was er wollte, was ich wollte. Wir gingen in eine Kabine. Am Anfang war es geil. Bis er versuchte, mich zu küssen. Ich drehte den Kopf weg. Ich will nur einen Jungen küssen, den ich liebe. Er guckte mich verblüfft an und hörte auf. Vor dem Klo wartete er auf mich und wir quatschen kurz. Das ist irgendwie verrückt, er geht auf meine Schule, Oberstufe. Na toll. Ich hab ihn noch nie gesehen. Wie auch immer, er ist bestimmt nicht der Junge, in den ich mich verknallen würde, aber dieses Gefühl, daß ein anderer Junge einen will, das tut richtig gut. Irgendwann hab ich mich dann abgeseilt. Nils und Florian knutschten mit irgendwelchen Mädels rum, Melanie plapperte auf den Türsteher ein.. Die anderen waren eh nicht aufzutreiben. Auf dem Weg zum Bahnhof mußte ich wieder an Tobi denken. Ich redete mir ein, daß er mir völlig egal ist, schließlich kann ich jederzeit einen anderen Jungen haben.
Ich saß im Zug, als mich ein Mädchen ansprach: »Hast du Feuer?« »Ich rauche nicht.« Als ich aufsah, bekam ich einen Schreck. Sie war total blaß, die Augen völlig leer, hatte einen schwarzen Lackmantel und rote Lackstiefel an. Ich muß sie wohl völlig entgeistert angestarrt haben, denn sie fuhr mich an: »Was gibt’s denn da zu glotzen?«
»Nichts«, murmelte ich und guckte krampfhaft aus dem Fenster.
»Mensch siehst du fertig aus«, fuhr sie fort. »Bist du down?«
»Na ja, irgendwie schon.«
»Wie alt bist du denn?«
»Achtzehn«, log ich ganz automatisch.
»So siehst du mir aber nicht aus.« Ihre Stimme war plötzlich samtweich. Das ist ja nun das Letzte, was ich gebrauchen kann, Komplimente von einer Nutte. »Hast du zwanzig Mark?«
»Nein, wieso?«
»Nur so. Du bist nicht zufällig geil?« Sie öffnete ihren Mantel, und ich sah, daß sie nur eine Art Body drunter hatte. Ich wollte weg, aber irgendwas hielt mich zurück.
»Nein!«
»Schon gut, ist ja o.k. Keine Angst, Kleiner.«
Na toll, auf solche Sprüche fahr ich ja nun total ab. »Mensch, du nervst.«
»Was ist denn mit dir los?« Sie beugte sich vor. »Hast du Probleme mit deiner Tussi?«
»Ich habe keine Tussi.«
»Ach, deshalb bist du so fertig.«
»Nein!«
»Was denn dann?«
»Ich habe keine Tussi, ich bin schwul!« schrie ich sie an.
Das Wort rutschte mir einfach so raus, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. »Aha«, sagte sie unbeeindruckt. »Hast also Probleme mit deinem Typen?« »Nein, ich habe Probleme mit mir selbst«, meinte ich trotzig.
Sie lachte. »Ach, und da glaubst du, du bist der einzige auf der Welt, der Probleme hat?« Ich blickte sie an. Und plötzlich fühlte ich mich total stark. Mir geht es gut. Ich muß nicht anschaffen gehen, wie diese Tussi, ich sehe so gut aus, daß mir die Jungs hinterherlaufen. Und die Sache mit Tobias? Scheiß auf den Wichser! Der Zug hielt. Waldhausen. Sie stieg aus. »Tschüß«, sagte sie, »vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.« Das muß ja nicht unbedingt sein.
Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause machte ich Inventur: Ich ging alle Sachen durch, warum es mir gut gehen kann. Und die Sachen, warum es mir schlecht geht. Bei den Sachen zum Schlechtgehen gibt es nur die eine Sache: Ich will einen Freund! Ich habe die beiden Seiten gegeneinander abgewogen und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß es so schlimm gar nicht aussieht. Ich will einen Freund, einen richtigen Freund, zum Lachen, zum Reden, zum Weinen, zum Kuscheln, zum Küssen und Lieben. Irgendwann werde ich ihn finden. Und bis dahin will ich was anderes: Leben und Spaß haben!
Cooler Abend. Viel Bier, und Silvio hatte ein paar Tanztabletten mitgebracht. Ich habe ewig abgedanct, sogar ohne T-Shirt. Irgendwann habe ich bemerkt, daß mich ein Junge die ganze Zeit anstarrte. Ich habe ihn angelächelt, und er lächelte zurück. Als ich vom Klo kam, stand er an den Waschbecken und lächelte mich wieder an. Ich weiß nicht warum, aber in dem Moment wußte ich ganz genau, was er wollte, was ich wollte. Wir gingen in eine Kabine. Am Anfang war es geil. Bis er versuchte, mich zu küssen. Ich drehte den Kopf weg. Ich will nur einen Jungen küssen, den ich liebe. Er guckte mich verblüfft an und hörte auf. Vor dem Klo wartete er auf mich und wir quatschen kurz. Das ist irgendwie verrückt, er geht auf meine Schule, Oberstufe. Na toll. Ich hab ihn noch nie gesehen. Wie auch immer, er ist bestimmt nicht der Junge, in den ich mich verknallen würde, aber dieses Gefühl, daß ein anderer Junge einen will, das tut richtig gut. Irgendwann hab ich mich dann abgeseilt. Nils und Florian knutschten mit irgendwelchen Mädels rum, Melanie plapperte auf den Türsteher ein.. Die anderen waren eh nicht aufzutreiben. Auf dem Weg zum Bahnhof mußte ich wieder an Tobi denken. Ich redete mir ein, daß er mir völlig egal ist, schließlich kann ich jederzeit einen anderen Jungen haben.
Ich saß im Zug, als mich ein Mädchen ansprach: »Hast du Feuer?« »Ich rauche nicht.« Als ich aufsah, bekam ich einen Schreck. Sie war total blaß, die Augen völlig leer, hatte einen schwarzen Lackmantel und rote Lackstiefel an. Ich muß sie wohl völlig entgeistert angestarrt haben, denn sie fuhr mich an: »Was gibt’s denn da zu glotzen?«
»Nichts«, murmelte ich und guckte krampfhaft aus dem Fenster.
»Mensch siehst du fertig aus«, fuhr sie fort. »Bist du down?«
»Na ja, irgendwie schon.«
»Wie alt bist du denn?«
»Achtzehn«, log ich ganz automatisch.
»So siehst du mir aber nicht aus.« Ihre Stimme war plötzlich samtweich. Das ist ja nun das Letzte, was ich gebrauchen kann, Komplimente von einer Nutte. »Hast du zwanzig Mark?«
»Nein, wieso?«
»Nur so. Du bist nicht zufällig geil?« Sie öffnete ihren Mantel, und ich sah, daß sie nur eine Art Body drunter hatte. Ich wollte weg, aber irgendwas hielt mich zurück.
»Nein!«
»Schon gut, ist ja o.k. Keine Angst, Kleiner.«
Na toll, auf solche Sprüche fahr ich ja nun total ab. »Mensch, du nervst.«
»Was ist denn mit dir los?« Sie beugte sich vor. »Hast du Probleme mit deiner Tussi?«
»Ich habe keine Tussi.«
»Ach, deshalb bist du so fertig.«
»Nein!«
»Was denn dann?«
»Ich habe keine Tussi, ich bin schwul!« schrie ich sie an.
Das Wort rutschte mir einfach so raus, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. »Aha«, sagte sie unbeeindruckt. »Hast also Probleme mit deinem Typen?« »Nein, ich habe Probleme mit mir selbst«, meinte ich trotzig.
Sie lachte. »Ach, und da glaubst du, du bist der einzige auf der Welt, der Probleme hat?« Ich blickte sie an. Und plötzlich fühlte ich mich total stark. Mir geht es gut. Ich muß nicht anschaffen gehen, wie diese Tussi, ich sehe so gut aus, daß mir die Jungs hinterherlaufen. Und die Sache mit Tobias? Scheiß auf den Wichser! Der Zug hielt. Waldhausen. Sie stieg aus. »Tschüß«, sagte sie, »vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.« Das muß ja nicht unbedingt sein.
Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause machte ich Inventur: Ich ging alle Sachen durch, warum es mir gut gehen kann. Und die Sachen, warum es mir schlecht geht. Bei den Sachen zum Schlechtgehen gibt es nur die eine Sache: Ich will einen Freund! Ich habe die beiden Seiten gegeneinander abgewogen und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß es so schlimm gar nicht aussieht. Ich will einen Freund, einen richtigen Freund, zum Lachen, zum Reden, zum Weinen, zum Kuscheln, zum Küssen und Lieben. Irgendwann werde ich ihn finden. Und bis dahin will ich was anderes: Leben und Spaß haben!
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So sehr ich Mattenjahre schätze und mich darüber freue, dass das Tagebuch wieder online geht - die Passage über die Begegnung im Zug erinnert doch sehr stark an einen Abschnitt aus "Jim in Spiegel" von Inger Edelfeldt (Kapitel 7).
AntwortenLöschenDer Aufbau und die eigentliche Begebenheit sind nahezu identisch. Der Protagonist wird nach Feuer gefragt, das Mädel fragt "Bist du down?", der Protagonist behauptet, 18 zu sein, sie fragt "du bist nicht zufällig geil?"... Und natürlich die "Pointe" der Szene, dass die "Tussi" unbeeindruckt ist, dass der Protagonist schwul ist und fragt, ob er Ärger mit seinem Typen hat, worauf er antwortet "Ich habe Probleme mit mir selbst".
Im Original geht das Gespräch noch ein wenig weiter, aber die Ähnlichkeit ist doch erstaunlich...
Ahoi Saoilor ;-)
AntwortenLöschenJa, du hast eins von den sogenannten Easter Eggs entdeckt, die wir in den Tagebüchern versteckt haben...
Wer findet die anderen bzw die time Errors?