Mittwoch, 20. März 1996

20. März

14:05
»Tut mir leid wegen meiner Mutter gestern«, meinte Tobi in der Pause. Ich beruhigte ihn: »Mütter sind halt so.«
»Es ist nur so«, fuhr er fort, »die meisten in der Schule sind mir einfach zu blöd, zu oberflächlich oder zu albern.«
»Oh, ich kann auch ganz toll oberflächlich und albern sein«, blödelte ich und setzte mein dümmstes Gesicht auf. Tobi lachte nicht: »Du bist irgendwie anders«, sagte er. Das verwirrte mich allerdings. »Wie meinst du das?« In diesem Augenblick traf mich ein Basketball am Hinterkopf. Ich drehte mich um und sah Nils, umringt von einer Gruppe Mädels. »Hey, Fischkopp, los wirf mal den Ball rüber.« Ich wurde wütend. Was fiel diesem Penner eigentlich ein? Ich ging langsam zu ihm rüber. »Wenn ich ein Fischkopp bin, bist du der absolute Bauerntölpel.« Wir standen uns direkt gegenüber. Mein Gott, wenn er nur nicht so verdammt gut aussehen würde. Diese Augen, ich war nahe dran, in seinen Augen zu versinken. Zum Glück kam meine Wut zurück, und ich stieß ihm den Ball vor die Brust: »Ich hoffe, das ist jetzt klar«, schrie ich. Einen Augenblick lang huschte eine Spur Unsicherheit über sein Grinsen. »O.k., ist ja gut, sei doch nicht so empfindlich.«
»Wenn mich jemand beleidigt, bin ich empfindlich.« Ich stieß ihn zurück. Was dann passierte krieg' ich nicht mehr richtig zusammen. Plötzlich war ich in einer Art Schwitzkasten, mein einzig freier Arm ruderte hilflos in der Luft, Nils' Griff war stahlhart. Ich war wütend, aber es war vor allem die Hilflosigkeit, die mir fast die Tränen in die Augen stiegen ließen. Nein, nicht heulen, bloß nicht. Nils' Gesicht war direkt vor mir: »Ich hab gesagt, es tut mir leid. Mach hier bloß nicht so einen Aufstand.«
»O.k., o.k.«, gab ich nach und japste nach Luft. Er ließ los. Oh Shit, was war passiert, er ist fast einen halben Kopf kleiner als ich, und trotzdem war ich der totale Horst. »O.k., vergessen wir's«, sagte er grinsend, seine Augen lachten. »Nils ist der Champion«, kicherte eine der Göcken. »Aber Tim ist auch niedlich«, prustete Melanie. Die hatte mir noch gefehlt, seit ich in die Klasse gekommen bin, guckt sie mich schon so komisch an. Ich versuchte, mein charmantestes Lächeln aufzusetzen, und sagte: »Nicht nur niedlich.«
Tobias hatte die ganze Szene von weitem beobachtet und stand wie versteinert da. Ist dir was passiert?«
»Nee, er hat nur die Überraschung ausgenutzt. Das nächste Mal krieg' ich ihn schon.«
»Vor Nils mußt du dich in Acht nehmen.«
»Wieso?«
»Das ist einer von denen.«
»Einer wovon?« Aber Tobias antwortete nicht, statt dessen fragte er mich: »Fahren wir heute nachmittag irgendwo hin?«
»Geht nicht, meine Mom muß nach Ulm, wegen eines Jobs.« Ich sah die Enttäuschung in seinem Gesicht. Ich sammele Augenblicke, ich sammele Gesichtsausdrücke und Sätze und füge sie wie ein Puzzle zusammen. Aber wie ich es auch zusammenlege, das Ergebnis ist immer das gleiche.

Mom ruft, wir fahren nach Ulm.


23:20
Mom hat einen neuen Job und fängt zum 1. April (yeah, wie passend!) in einem Immobilienbüro in der Nähe von Bergbach an. Das ist mir irgend-wie gar nicht so unrecht, dann hab ich die Nachmittage etwas meine Ruhe.

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