Montag, 13. Oktober 1997

13. Oktober

"Du hast Sex mit Heiko gehabt."
Das war keine Frage, das war eine Feststellung. Doris blickte mich mit zusammengekniffenem Auge an und legte den Kopf zur Seite.
"Woher willst du das wissen?"
"Du strahlst so. Du strahlst von innen. Du siehst nicht gerade so aus, als wenn du einen tierisch anstrengenden Wettkampf hinter dir hast."
"Aha."
"Sei nicht so wortkarg. Sprich!"
"Nein."
"Wie? Nein?"
"Nein, das ist ein Ding zwischen Heiko und mir. Ich will nicht darüber reden."
Für mich ist diese Sache tatsächlich etwas zwischen ihm und mir. Nicht mal Nils hatte ich davon erzählt, was und vor allem wo wir es gemacht hatten. Nein, das ist eine Sache, die nur Heiko und mich etwas angeht. Ich habe das komische Gefühl, ich würde diese Nacht irgendwie entwerten, wenn ich es jemandem erzähle.
"Sage mir nur eines: War Nils dabei?"
"Nein, natürlich nicht."
"Nein, natürlich nicht", äffte sie mich nach. "Ist das eigentlich bei allen Schwulen so?"
"Was soll bei allen Schwulen SO sein?"
"Daß da munter in der Gegend rumgevögelt wird. Egal, ob der Freund nebenan schläft oder nicht."
Ich blickte sie lange an. Ich wollte es ihr erklären, doch ich wußte nicht wie. Heiko war immer noch da und sogar in meinem Herzen. Aber es tat nicht mehr so weh. Denn ich weiß nun, daß auch er mich will. Und das ist ein sehr angenehmes Gefühl.

Das Turnier war natürlich DAS Gesprächsthema beim Training. Alle waren seltsamerweise tierisch stolz darauf, daß ich den vierten Platz belegt hatte. Na toll, vierter Platz, keine Medaille, nichts. Aber immerhin.
"Beim nächsten Mal", sagte Nils auf dem Heimweg, "gibt es mindestens Silber."
"Es wird kein nächstes Mal geben", meinte ich.
Er blieb stehen und schaute mich verwirrt an: "Wieso?"
"Es gibt für mich keinen Grund mehr, so hart zu trainieren. Ich habe erreicht, was ich wollte. Ich habe gegen Heiko gewonnen."
"War das alles? IST das alles? Natürlich hast du gegen Heiko gewonnen. Und ich bin bestimmt gebauso stolz darauf wie du. Aber das ist doch nicht alles. Es gibt mehr Gegner als Heiko."
"Natürlich gibt es mehr Gegner als Heiko. Aber du weiß ganz genau, was das für mich bedeutet hat. Daß das für mich persönlich wichtig war. Nicht der sportliche Sieg. Ich glaube, das weißt du."
"Das weiß ich. Und was glaubst du denn? Glaubst du, ich habe nicht mitgekriegt, WIE ihr beide euch angeguckt habt? Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, daß ihr euch schon seit Jahren kennt. Aber soll denn das ganze Training bis jetzt umsonst gewesen sein? War das wirklich nur dafür da, gegen diesen Typen zu gewinnen?"
Wenn er mich gefragt hätte, ob es das alles wert gewesen wäre, hätte ich glatt ja gesagt. Diese eine Nacht mit Heiko war diese ganzen elendigen Trainingssessions wert, die Schmerzen, die Nerverei, die Tränen. Und wenn es nur für diese eine Nacht gewesen wäre. Doch das konnte ich Nils so nicht sagen.
"Ich hatte ein Ziel. Und das habe ich erreicht. Und im Moment weiß ich nicht, wie es jetzt mit dem Ringen weitergeht. Ich werde aber ganz bestimmt nicht mehr so extrem trainieren."
Ich sah eine Spur Enttäuschung in Nils' Gesicht bevor er mich in den Arm nahm: "Paß auf mein kleiner Tim. Paß nur auf, daß du jetzt nicht in ein großes, großes Loch fällst. Jetzt wo alles vorbei ist, worauf du hin gearbeitet hast."
Nachdenklich ging ich nach Hause. Und nachdenklich schreibe ich das jetzt. Ich habe Angst.

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