Sonntag, 9. November 1997
9. November
"Cool, daß wir endlich auch mal gegeneinander ringen."
Ich fand das gar nicht so cool. Vor allem, weil es gleich der erste Kampf war, der gegen Benji ging. Und wie erwartet, war er ziemlich schnell zu Ende.
"Na, vielleicht sollten wir beide doch mal ein paar Trainingseinheiten machen."
Ich nehme an, das war Benjis Art, mir zu sagen, daß ich mich wie der absolute Voll-Depp angestellt hatte.
"Du hast verloren", meinte Nils trocken.
"Wow, super, danke, daß du mir das sagst, ich wäre niemals von alleine darauf gekommen."
"Und dann noch gegen diesen kleinen Spinner."
Ich guckte an die Decke und sagte zur Abwechslung einfach mal gar nichts. Irgendwie ist dieses Turnier so ein bißchen wie das in Leipzig. Aber ich bin lange nicht so aufgeregt. Vielleicht, weil nicht so viel Publikum da ist. Und bestimmt auch weil Heiko nicht da ist und ich hier nicht unbedingt gegen ihn gewinnen muß. Diesmal sind gleich komplette Mannschaften angereist und zum ersten Mal ist mir aufgefallen, daß ein paar wirklich niedliche Jungs dabei sind. Vor allem einer sah total niedlich aus und er war natürlich genau in der Mannschaft, wo mein nächster Gegner herkam. Nils hatte mich schon vorgewarnt, daß die Ringer aus Berlin saugut sind. Und das war mein Gegner auch. Der Kampf ging noch viel schneller vorbei als der gegen Benji. Nils wußte, daß er nichts zu sagen brauchte. Scheiß drauf, ich meine, was brauche ich irgendwelche Siege? Damit Nils mit mir Sylvester nach Hamburg kommt? Auf einmal war es mir wirklich egal. Wenn er es davon abhängig macht, ob ich gewinne oder nicht, dann kann ich echt drauf verzichten.
Ich hatte zwei Runden Pause und ging auf die Tribüne hoch zu Doris. "Wenn ich das richtig verstanden habe, hast du bisher verloren?"
"Toll, ja bitte, jetzt du auch noch. Ja, ich habe verloren."
"Mensch, bist du wieder aggressiv. Komm doch mal runter."
Es tat mir leid, ich wollte sie eigentlich gar nicht so anmotzen. Aber das war natürlich die total falsche Begrüßung, die sie gebracht hat. Lena fing an zu quäken und Doris schaukelte sie hin und her.
"Woran liegt es denn?"
"Keine Ahnung. Die anderen Jungs sind einfach zu gut."
"Ich dachte, du bist so ein Naturtalent. Mein Nils jedenfalls immer."
"Du unterhältst dich mit Nils über mich?" Ich war etwas, nein ziemlich, überrascht.
"Na klar, warum denn auch nicht?"
Bei dem Gedanken, daß sich Nils und Doris über mich unterhalten, wurde mir ganz komisch. Was haben die beiden zu bereden?
"Wäre es anders, wenn Heiko hier oben sitzt?"
"Keine Ahnung. Ich weiß es echt nicht. Ich glaube inzwischen, es wäre ihm egal. Es wäre ihm wirklich egal, ob ich gewinne oder verliere. Er würde es wenigstens sagen. Nein, er würde es nicht sagen, aber ich würde merken, daß es ihm egal ist. Oder glauben, daß es ihm egal ist."
"Ich habe nicht gefragt, was Heiko denkt oder fühlt, sondern ob es für DICH was ändern würde."
"Aber DAS ist es doch. Es ist ihm egal. Also warum soll ich ihn beeindrucken? Wieso sollte ich noch für IHN gewinnen?"
Ich wundere mich selbst darüber, daß ich das so gesagt habe. Irgendwie scheint wenigstens mein Verstand langsam zurückzukommen und die Dinge realistisch zu sehen. Aber ist es wirklich so?
"Wie lange dauert das noch, bis du über ihn hinweg bist?"
"Keine Ahnung, ich glaube es wird nie weggehen."
"Ach du Scheiße, na toll. Aber weißt du, was ich glaube? Es ist in dem Moment aus, wo Heiko zu dir kommen würde und sagt, daß er dich liebt. In dem Moment, wo er nach Bergbach oder sonstwohin kommt, um mit dir zusammenzuziehen. In dem Moment wo er immer da ist, wenn du ihn haben willst, wo ihr beide so viel Sex haben könnt wie DU willst, in dem Augenblick, wo er das macht, was du willst, wo ER hinter DIR herläuft. Ich glaube, in dem Moment ist es vorbei. In dem Moment verlierst du die Lust an ihm."
"Ich werde nie die Lust oder sonstwas an ihm verlieren", meinte ich trotzig und ging wieder hinunter. Doris' Worte hatten mich nachdenklich gemacht. Was ist, wenn sie recht hat? Ich schob den Gedanken beiseite. Mein nächster Kampf stand an. Und ich weiß nicht, woran es lag, ich gewann. Zwar nicht mit Schultersieg, aber immerhin mit vier Punkten Differenz. Mahmout ist ein cooler Coach. Er motzt nicht. Er erklärt ganz ruhig, was man falsch gemacht hat, was man beim nächsten Mal besser machen kann.
"Noch drei Kämpfe", meinte Nils. Shit noch drei Kämpfe. Wie sollte ich DAS durchstehen? Ich war jetzt schon fertig. Ich setzte mich an den Mattenrand und schaute Nils bei seinem Kampf zu. Er mußte gegen diesen niedlichen Jungen von Luftfahrt Berlin antreten...und verlor. Nils verlor seinen Kampf. Für eine Millisekunde war ich schadenfroh. Endlich hatte der große Nils, der unfehlbare Nils einen Kampf verloren. Aber im nächsten Moment tat es mir leid, daß ich solche Gedanken hatte. ER tat mir leid. Ich sah ihn, wie er von der Matte ging, sein Handtuch wütend in die Ecke warf. Ich ging zu ihm hin, wollte ihn in den Arm nehmen, ihn trösten, aber das ging natürlich nicht in der Halle. Der Berliner war der absolute Vollproll, jedenfalls was ich von ihm mitgekriegt habe. Dabei sah er so niedlich aus.
Nils taperte in die Kabine, ich hinter ihm her. Und plötzlich rastete er total aus, warf seine Wasserflasche gegen die Wand und schrie: "So eine Scheiße, ich hatte ihn schon fast auf der Schulter!"
Ich war total verwirrt, ich habe ihn schon lange nicht mehr so wütend und laut erlebt. Ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn: "Hey, es ist ok. Das ist doch nur ein Kampf, den du verloren hast. Das nächste Mal gewinnst du wieder."
Nils stieß mich weg: "Toll, super. Das kann ich jetzt genau gebrauchen. Du hast nichts, aber auch gar nichts verstanden."
"Ich habe sehr gut verstanden, glaube ich. Ich bin vielleicht nicht der Super-Ringer. Ich sehe die ganze Sache vielleicht ein bissel lockerer. Aber vielleicht ist es genau das, was DIR fehlt. Hast du darüber mal nachgedacht? Du bist ja schon der reinste Psycho, wenn es ums Ringen geht!"
Das hatte ich gesagt! Ich hatte das tatsächlich gesagt. Es war mir so rausgerutscht. Und ich habe es bestimmt nicht so gemeint.
Nils guckte mich sehr lange an und mit jeder Sekunde wurde mir unwohler. Dann drehte er sich um und ging ohne ein Wort zu sagen raus. Na toll. Ich habe mal wieder meinen vorlauten Mund nicht halten können. Aber ich konnte nicht mehr darüber nachdenken, denn ich hörte, daß mein nächster Kampf aufgerufen wurde. Ich strengte mich an. Ich versuchte alles, was nur möglich war. Und schaffte es, daß er mich wenigstens nicht schulterte. Aber schließlich verlor ich trotzdem, aber immerhin nur mit einem Punkt Rückstand.
Ich entdeckte Flo, der sich mit Kevin unterhielt und taperte zu den beiden.
"Ist dir eigentlich klar, daß DU Schuld bist, daß ich mir jetzt den ganzen Sonntag hier um die Ohren schlagen darf?"
Flo grinste: "Warum soll ich der Einzige sein, dem die Knochen gebrochen werden?"
"Naja, Tim schlägt sich ganz wacker, für so einen Fischkopp."
Ich buffte Kevin in die Seite. Ich hatte schon ewig keine Anspielung mehr gehört, darüber, wo ich eigentlich herkomme. Irgendwie sind die Jungs schon cool. Ich guckte mich um. In der Hallenecke gegenüber saß Nils, den Kopf hatte er in seinen Armen vergraben. Was denkt er jetzt? Habe ich ihn wirklich so sehr damit getroffen? Ich ging vor die Tür. Draußen stand der niedliche Berliner mit einem Kumpel und rauchte. Und ich hatte recht: Es war der totale Vollproll. Das tröstete mich irgendwie. Daß ein Typ, der so niedlich aussieht dann doch so dusselig ist. Ich ging wieder rein, um mich aufzuwärmen. Nils saß immer noch in seiner Ecke. Ich hatte echt ein schlechtes Gewissen. Ich stöpselte mir meinen Walkman ein und hörte, wie passend, "Everybody hurts". Ich legte mich auf die Matte, schloß die Augen und schwebte davon. Ich weiß nicht, ob ich eingeschlafen war. Irgendwann rüttelte mich jemand an der Schulter. Ich machte die Augen auf. Es war Nils. "Du bist dran, dein nächster Kampf."
Ich versuchte, etwas in seinen Augen zu entdecken, aber es ging alles so schnell. Bergbach gegen Hallbergmoos. Und Bergbach gewann tatsächlich. Mir fiel mein Overkill, der Single Leg wieder ein. Und er klappte super gut. Tim Berger gewann seinen zweiten Kampf in diesem Turnier. Nils, wir fahren nach Hamburg. Keine Ausrede, kein Jammern. Wir fahren nach Hamburg. Zusammen!
Benji meinte, daß ich wohl jetzt erst so richtig in Fahrt komme. Ich sagte ihm, daß ich mir nicht sicher bin, daß es vielleicht ja doch Glück ist. Aber ich weiß, daß es eben kein Glück ist. Gegen so echte Cracks wie Benji oder den Typen aus Berlin habe ich Null Chance. Never ever. Wenn mir aber irgendein Zweit- oder Drittklasse-Ringer gegenübersteht und ich Glück habe, ja dann gewinne ich vielleicht auch mal. Oder wenn ich wütend bin. Oder wenn Heiko...verdammt! Schluß jetzt! Ok, meinen letzten Kampf habe ich dann wieder verloren, gegen einen Jungen aus Nürnberg. Aber immerhin, zwei Kämpfe gewonnen.
Nils gewann seine nächsten Kämpfe, aber das brachte uns auch nicht weiter. In der Gesamtwertung landeten wir irgendwo out in the middle of nowhere und die Jungs von Luftfahrt Berlin machten den Ersten.
Nils wartete auf dem Parkplatz auf mich. "Du machst auch nie mehr, als du wirklich mußt, was?"
"Wie meinst du das?"
"Na, zwei Kämpfe gewinnen, hatten wir ausgemacht."
"Ja und? Habe ich zwei Kämpfe gewonnen? Reicht dir das nicht? Bist du nicht zufrieden?"
Ich merkte, wie ich wieder aggressiv wurde.
"Doch, es paßt schon. Ich sag ja, genau so viel, wie du mußt."
"Hey, weißt du eigentlich, daß ich mich eigentlich bei dir entschuldigen wollte, wegen dem Satz von vorhin, der mit dem Psycho..."
"Hallo! Tim, hallo! Bleibt doch einfach mal locker." Nils kam auf mich zu, nahm mich einfach in den Arm und drückte mich. "Kleiner verrückter Tim. Manchmal, ganz manchmal hast du vielleicht ja sogar ein klein bissel Recht."
Ich fand das gar nicht so cool. Vor allem, weil es gleich der erste Kampf war, der gegen Benji ging. Und wie erwartet, war er ziemlich schnell zu Ende.
"Na, vielleicht sollten wir beide doch mal ein paar Trainingseinheiten machen."
Ich nehme an, das war Benjis Art, mir zu sagen, daß ich mich wie der absolute Voll-Depp angestellt hatte.
"Du hast verloren", meinte Nils trocken.
"Wow, super, danke, daß du mir das sagst, ich wäre niemals von alleine darauf gekommen."
"Und dann noch gegen diesen kleinen Spinner."
Ich guckte an die Decke und sagte zur Abwechslung einfach mal gar nichts. Irgendwie ist dieses Turnier so ein bißchen wie das in Leipzig. Aber ich bin lange nicht so aufgeregt. Vielleicht, weil nicht so viel Publikum da ist. Und bestimmt auch weil Heiko nicht da ist und ich hier nicht unbedingt gegen ihn gewinnen muß. Diesmal sind gleich komplette Mannschaften angereist und zum ersten Mal ist mir aufgefallen, daß ein paar wirklich niedliche Jungs dabei sind. Vor allem einer sah total niedlich aus und er war natürlich genau in der Mannschaft, wo mein nächster Gegner herkam. Nils hatte mich schon vorgewarnt, daß die Ringer aus Berlin saugut sind. Und das war mein Gegner auch. Der Kampf ging noch viel schneller vorbei als der gegen Benji. Nils wußte, daß er nichts zu sagen brauchte. Scheiß drauf, ich meine, was brauche ich irgendwelche Siege? Damit Nils mit mir Sylvester nach Hamburg kommt? Auf einmal war es mir wirklich egal. Wenn er es davon abhängig macht, ob ich gewinne oder nicht, dann kann ich echt drauf verzichten.
Ich hatte zwei Runden Pause und ging auf die Tribüne hoch zu Doris. "Wenn ich das richtig verstanden habe, hast du bisher verloren?"
"Toll, ja bitte, jetzt du auch noch. Ja, ich habe verloren."
"Mensch, bist du wieder aggressiv. Komm doch mal runter."
Es tat mir leid, ich wollte sie eigentlich gar nicht so anmotzen. Aber das war natürlich die total falsche Begrüßung, die sie gebracht hat. Lena fing an zu quäken und Doris schaukelte sie hin und her.
"Woran liegt es denn?"
"Keine Ahnung. Die anderen Jungs sind einfach zu gut."
"Ich dachte, du bist so ein Naturtalent. Mein Nils jedenfalls immer."
"Du unterhältst dich mit Nils über mich?" Ich war etwas, nein ziemlich, überrascht.
"Na klar, warum denn auch nicht?"
Bei dem Gedanken, daß sich Nils und Doris über mich unterhalten, wurde mir ganz komisch. Was haben die beiden zu bereden?
"Wäre es anders, wenn Heiko hier oben sitzt?"
"Keine Ahnung. Ich weiß es echt nicht. Ich glaube inzwischen, es wäre ihm egal. Es wäre ihm wirklich egal, ob ich gewinne oder verliere. Er würde es wenigstens sagen. Nein, er würde es nicht sagen, aber ich würde merken, daß es ihm egal ist. Oder glauben, daß es ihm egal ist."
"Ich habe nicht gefragt, was Heiko denkt oder fühlt, sondern ob es für DICH was ändern würde."
"Aber DAS ist es doch. Es ist ihm egal. Also warum soll ich ihn beeindrucken? Wieso sollte ich noch für IHN gewinnen?"
Ich wundere mich selbst darüber, daß ich das so gesagt habe. Irgendwie scheint wenigstens mein Verstand langsam zurückzukommen und die Dinge realistisch zu sehen. Aber ist es wirklich so?
"Wie lange dauert das noch, bis du über ihn hinweg bist?"
"Keine Ahnung, ich glaube es wird nie weggehen."
"Ach du Scheiße, na toll. Aber weißt du, was ich glaube? Es ist in dem Moment aus, wo Heiko zu dir kommen würde und sagt, daß er dich liebt. In dem Moment, wo er nach Bergbach oder sonstwohin kommt, um mit dir zusammenzuziehen. In dem Moment wo er immer da ist, wenn du ihn haben willst, wo ihr beide so viel Sex haben könnt wie DU willst, in dem Augenblick, wo er das macht, was du willst, wo ER hinter DIR herläuft. Ich glaube, in dem Moment ist es vorbei. In dem Moment verlierst du die Lust an ihm."
"Ich werde nie die Lust oder sonstwas an ihm verlieren", meinte ich trotzig und ging wieder hinunter. Doris' Worte hatten mich nachdenklich gemacht. Was ist, wenn sie recht hat? Ich schob den Gedanken beiseite. Mein nächster Kampf stand an. Und ich weiß nicht, woran es lag, ich gewann. Zwar nicht mit Schultersieg, aber immerhin mit vier Punkten Differenz. Mahmout ist ein cooler Coach. Er motzt nicht. Er erklärt ganz ruhig, was man falsch gemacht hat, was man beim nächsten Mal besser machen kann.
"Noch drei Kämpfe", meinte Nils. Shit noch drei Kämpfe. Wie sollte ich DAS durchstehen? Ich war jetzt schon fertig. Ich setzte mich an den Mattenrand und schaute Nils bei seinem Kampf zu. Er mußte gegen diesen niedlichen Jungen von Luftfahrt Berlin antreten...und verlor. Nils verlor seinen Kampf. Für eine Millisekunde war ich schadenfroh. Endlich hatte der große Nils, der unfehlbare Nils einen Kampf verloren. Aber im nächsten Moment tat es mir leid, daß ich solche Gedanken hatte. ER tat mir leid. Ich sah ihn, wie er von der Matte ging, sein Handtuch wütend in die Ecke warf. Ich ging zu ihm hin, wollte ihn in den Arm nehmen, ihn trösten, aber das ging natürlich nicht in der Halle. Der Berliner war der absolute Vollproll, jedenfalls was ich von ihm mitgekriegt habe. Dabei sah er so niedlich aus.
Nils taperte in die Kabine, ich hinter ihm her. Und plötzlich rastete er total aus, warf seine Wasserflasche gegen die Wand und schrie: "So eine Scheiße, ich hatte ihn schon fast auf der Schulter!"
Ich war total verwirrt, ich habe ihn schon lange nicht mehr so wütend und laut erlebt. Ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn: "Hey, es ist ok. Das ist doch nur ein Kampf, den du verloren hast. Das nächste Mal gewinnst du wieder."
Nils stieß mich weg: "Toll, super. Das kann ich jetzt genau gebrauchen. Du hast nichts, aber auch gar nichts verstanden."
"Ich habe sehr gut verstanden, glaube ich. Ich bin vielleicht nicht der Super-Ringer. Ich sehe die ganze Sache vielleicht ein bissel lockerer. Aber vielleicht ist es genau das, was DIR fehlt. Hast du darüber mal nachgedacht? Du bist ja schon der reinste Psycho, wenn es ums Ringen geht!"
Das hatte ich gesagt! Ich hatte das tatsächlich gesagt. Es war mir so rausgerutscht. Und ich habe es bestimmt nicht so gemeint.
Nils guckte mich sehr lange an und mit jeder Sekunde wurde mir unwohler. Dann drehte er sich um und ging ohne ein Wort zu sagen raus. Na toll. Ich habe mal wieder meinen vorlauten Mund nicht halten können. Aber ich konnte nicht mehr darüber nachdenken, denn ich hörte, daß mein nächster Kampf aufgerufen wurde. Ich strengte mich an. Ich versuchte alles, was nur möglich war. Und schaffte es, daß er mich wenigstens nicht schulterte. Aber schließlich verlor ich trotzdem, aber immerhin nur mit einem Punkt Rückstand.
Ich entdeckte Flo, der sich mit Kevin unterhielt und taperte zu den beiden.
"Ist dir eigentlich klar, daß DU Schuld bist, daß ich mir jetzt den ganzen Sonntag hier um die Ohren schlagen darf?"
Flo grinste: "Warum soll ich der Einzige sein, dem die Knochen gebrochen werden?"
"Naja, Tim schlägt sich ganz wacker, für so einen Fischkopp."
Ich buffte Kevin in die Seite. Ich hatte schon ewig keine Anspielung mehr gehört, darüber, wo ich eigentlich herkomme. Irgendwie sind die Jungs schon cool. Ich guckte mich um. In der Hallenecke gegenüber saß Nils, den Kopf hatte er in seinen Armen vergraben. Was denkt er jetzt? Habe ich ihn wirklich so sehr damit getroffen? Ich ging vor die Tür. Draußen stand der niedliche Berliner mit einem Kumpel und rauchte. Und ich hatte recht: Es war der totale Vollproll. Das tröstete mich irgendwie. Daß ein Typ, der so niedlich aussieht dann doch so dusselig ist. Ich ging wieder rein, um mich aufzuwärmen. Nils saß immer noch in seiner Ecke. Ich hatte echt ein schlechtes Gewissen. Ich stöpselte mir meinen Walkman ein und hörte, wie passend, "Everybody hurts". Ich legte mich auf die Matte, schloß die Augen und schwebte davon. Ich weiß nicht, ob ich eingeschlafen war. Irgendwann rüttelte mich jemand an der Schulter. Ich machte die Augen auf. Es war Nils. "Du bist dran, dein nächster Kampf."
Ich versuchte, etwas in seinen Augen zu entdecken, aber es ging alles so schnell. Bergbach gegen Hallbergmoos. Und Bergbach gewann tatsächlich. Mir fiel mein Overkill, der Single Leg wieder ein. Und er klappte super gut. Tim Berger gewann seinen zweiten Kampf in diesem Turnier. Nils, wir fahren nach Hamburg. Keine Ausrede, kein Jammern. Wir fahren nach Hamburg. Zusammen!
Benji meinte, daß ich wohl jetzt erst so richtig in Fahrt komme. Ich sagte ihm, daß ich mir nicht sicher bin, daß es vielleicht ja doch Glück ist. Aber ich weiß, daß es eben kein Glück ist. Gegen so echte Cracks wie Benji oder den Typen aus Berlin habe ich Null Chance. Never ever. Wenn mir aber irgendein Zweit- oder Drittklasse-Ringer gegenübersteht und ich Glück habe, ja dann gewinne ich vielleicht auch mal. Oder wenn ich wütend bin. Oder wenn Heiko...verdammt! Schluß jetzt! Ok, meinen letzten Kampf habe ich dann wieder verloren, gegen einen Jungen aus Nürnberg. Aber immerhin, zwei Kämpfe gewonnen.
Nils gewann seine nächsten Kämpfe, aber das brachte uns auch nicht weiter. In der Gesamtwertung landeten wir irgendwo out in the middle of nowhere und die Jungs von Luftfahrt Berlin machten den Ersten.
Nils wartete auf dem Parkplatz auf mich. "Du machst auch nie mehr, als du wirklich mußt, was?"
"Wie meinst du das?"
"Na, zwei Kämpfe gewinnen, hatten wir ausgemacht."
"Ja und? Habe ich zwei Kämpfe gewonnen? Reicht dir das nicht? Bist du nicht zufrieden?"
Ich merkte, wie ich wieder aggressiv wurde.
"Doch, es paßt schon. Ich sag ja, genau so viel, wie du mußt."
"Hey, weißt du eigentlich, daß ich mich eigentlich bei dir entschuldigen wollte, wegen dem Satz von vorhin, der mit dem Psycho..."
"Hallo! Tim, hallo! Bleibt doch einfach mal locker." Nils kam auf mich zu, nahm mich einfach in den Arm und drückte mich. "Kleiner verrückter Tim. Manchmal, ganz manchmal hast du vielleicht ja sogar ein klein bissel Recht."
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