Montag, 18. August 1997

18. August

"Es ist freies Training."
"Und was heißt das?"
"Ihr könnt machen, was ihr wollt."
"Auch nach Hause gehen?"
"Tim!" Ich spürte Nils Ellenbogen schmerzhaft in meinen Rippen.
Dimitri war nicht da und der Aushilfstrainer (weiß der Himmel, WO der herkam) hatte offensichtlich keine richtige Lust, zumal er noch ein halbes Dutzend wuselnder Kids der C-, D- und E-Jugend zu bändigen hatte.
"Immerhin hat er gesagt, wir können machen was wir wollen. Also, ich will jetzt mit dir schlafen."
"Na klar, am liebsten wohl hier und jetzt."
"Warum denn nicht?", grinste ich.
"Das kann ich mir vorstellen, das könnte dir so passen."
"Wir könnten jetzt am Strand liegen, im Meer schwimmen. Aber nein, statt dessen hocken wir in dieser stinkigen Halle."
"Immerhin. Stelle dir mal vor, du hättest nicht angefangen zu ringen."
"Ja und?"
"Meinst du, daß wir da wären, wo wir heute sind?"
"Was meinst du denn?"
"Na glaubst du, das alles wäre so gekommen, wenn du nicht mit dem Ringen angefangen hättest?"
Ich überlegte. Eine seltsame Vorstellung. Wenn ich mir das jetzt so überlege ist das schon eine spannende Geschichte. Eigentlich ist das ganze Leben nur eine Kette von Zufällen, die aufeinander aufbauen. Wenn ich damals wirklich nicht mit dem Ringen angefangen hätte. Was wäre passiert? Ich wäre wahrscheinlich weiter total gefrustet durch die Gegend gelaufen. Was wäre, wenn ich zu Nils so ein unspannendes Verhältnis hätte wie zu Silvio, zu Max oder zu Mehmet? Wäre diese Sache auf Sylt so passiert, wie sie passiert ist?
"Komm, laß uns abhauen. Ich habe echt keine Lust mehr, heute noch irgendwie zu trainieren."
Seltsamerweise war Nils einverstanden und so haben wir vor der Halle rasch Doris angerufen und haben uns mit ihr im Venezia zum Eisessen verabredet. Natürlich durften wir ihr alles von unsere Reise erzählen, aber das war ja auch ok. Sie hatte Lena dabei, die inzwischen schon richtig in die Gegend gucken kann. So sieht es jedenfalls aus.
"Hast du was von Tobias gehört?" wollte ich wissen.
"So weit ich weiß, ist er mit seiner Mutter in den Schwarzwald gefahren."
"Totschick, dann hätte er ja auch gleich hier bleiben können."
"Wo soll er denn hin, mit seiner Chemo? Vielleicht nach Indien, oder eine Weltreise?"
"Ja, ist ja schon gut."
"Und ihr zwei? Wann zieht ihr zusammen?"
Ich guckte zu Nils. "Also wenn ich es mir aussuchen könnte..."
"Laß mich raten: Ihr beide zieht nach Hamburg und du hast dich schon nach einer Wohnung umgeguckt."
Ich mußte lachen: "Fast, beinahe richtig."
"Werde ich auch mal gefragt bei der ganzen Sache?", protestierte Nils.
"Nö, wozu denn auch."
"Vielleicht will ich nicht nach Hamburg."
"Ach ja, ich erinnere mich. Wir haben uns ja auf Stuttgart geeinigt."
"Ich glaube im Moment", sagte Nils, "wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich sofort, gleich und jetzt mit dir in eine Wohnung zusammenziehen."
Mein Herz machte einen Sprung. Ich war so glücklich, das von Nils zu hören. Von meinem Nils!

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