Sonntag, 15. Juni 1997

15. Juni

"Schön, daß du auch noch kommst." Nils stand leicht angesäuert am Eingang.
"Ich dachte wir sind in der Greuthalle."
"Schnarchsack, hörst du eigentlich nie zu, wenn Dimitri was sagt?" Wenigstens grinste er wieder.
Aber es war natürlich schon peinlich, daß ich fast zu spät gekommen war. Um ein Haar hätte ich nämlich das Wiegen verpaßt und dann hätten wir ziemlich dumm ausgesehen.

Und dann hieß es wieder warten, warten. Das sind immer die nervigsten Momente bei solchen Wettkämpfen. Man hockt mit den Anderen in irgendeiner Ecke und wartet darauf, daß es endlich losgeht. Zwischendurch springt man auf und rennt rum, weil man es einfach nicht mehr aushält, still rumzusitzen. Dann ging es endlich los und ich war zum Glück gleich als Zweiter dran. Eigentlich fand ich mich gar nicht schlecht und ich machte auch Punkte, aber ich kam nicht so richtig voran. Mein Gegner war total passiv und dieser Depp von Kampfrichter hat das nicht mitgekriegt oder nicht mitkriegen wollen oder was weiß ich. Jedenfalls hätte mein Gegner mindestens drei Verwarnungen bekommen müssen. Naja, auf jeden Fall habe ich gewonnen, wenn auch nur mit zwei Punkten Vorsprung.

Nils empfing mich mit den Worten: "Du warst aber auch schon mal besser." Na toll, das war ja wieder total aufbauend. Ich meine, was will er denn eigentlich? Ich habe gewonnen und immerhin mit zwei Punkten Vorsprung. Soll er es doch besser machen. Ok, machte er dann auch: er hatte 6 Punkte Vorsprung. Aber irgendwie ist es doch egal. Ich war mit den Gedanken sowieso schon ganz woanders.
Die anderen guckten etwas komisch, als wir uns nach der ganzen Veranstaltung absetzten und nicht mit den anderen zum Pizzaessen gingen. Aber auch das war mir egal.

Kaum war die Tür hinter uns ins Schloß gefallen, lagen wir uns in den Armen. Bedeckten uns über und über mit Küssen und wollten uns gar nicht mehr loslassen, bis wir beide schließlich irgendwann keine Luft mehr bekamen. Wir taperten in den Garten und ließen uns einfach ins Gras fallen. Ich weiß nicht, wie lange wir so da lagen, irgendwann sagten wir beide fast gleichzeitig: "Man könnte was essen." Also taperten wir in die Küche und zauberten einen riesigen Nudelauflauf. Während das Teil im Ofen war, suchte ich alles, was ich an Kerzen und Windlichtern finden konnte zusammen und verwandelte den Garten in ein kleines Kerzenmeer. Es war wirklich schön. Die Sonne ging langsam unter, überall Kerzen, was Schnuckeliges zu essen und dann noch Nils, mein Nils bei mir. Der Wettkampf, das Essen, der Wein, das alles machte uns nach einer Weile ziemlich müde und so zottelten wir hoch in mein Zimmer. Nils neben mir in meinem Bett. Wir küßten uns und wir kuschelten eine halbe Ewigkeit. Ich schwebte im siebenten Himmel. Und wenn es nur diese Momente sind, für die es sich lohnt zu leben. Es sind diese Augenblicke, wo ich einfach nur so voll Glück bin, so voller Liebe für Nils, daß alles andere um mich herum so unwichtig wird. Wir haben zwei Mal miteinander geschlafen und irgendwann hatte Nils seinen Kopf auf meine Brust gelegt und war eingeschlafen. Ich strich im sanft über sein Gesicht. Diese Momente möchte ich für die Ewigkeit aufheben, für immer in mir tragen und mir immer wieder in Erinnerung rufen, wenn es mir schlecht geht.
Schließlich bin auch ich irgendwann eingeschlafen und wachte erst auf, als Nils mich sanft wachrüttelte: "Kaffe oder Tee?"
Ich murmelte irgendwas von Kakao und es dauerte einen Moment ehe ich mich in der Situation zurechtfand. Nils Stand in meiner Küche und machte Frühstück. Ok, es ist nicht meine Küche, sondern ja eher die Küche unserer Familie. Aber Nils bewegte sich so selbstverständlich darin, als wäre er hier zu Hause. Ich stand im Türrahmen und schaute ihm zu. "Frühstück im Garten oder auf dem Zimmer?" fragte er.
"Och, ich denke mal, im Zimmer, da ist es gemütlicher."
Was nicht so ganz stimmte. Im Bett zu frühstücken ist ja vielleicht total romantisch, aber auch reichlich unpraktisch. Man muß permanent aufpassen, daß man nichts vollkleckert, daß einem die diversen Getränke nicht umkippen und so weiter. Aber es war auch witzig.
Nach dem Frühstück haben wir das halbe Bad unter Wasser gesetzt, weil wir natürlich zusammen in die Badewanne hüpfen mußten. Aber es war einfach nur geil, da drin mit Nils Sex zu haben.
Den Rest des Tages verbrachten wir im Garten. "Ist es nicht nervig, jeden Tag unsere Schule im Blickfeld zu haben?"
"Na im Blickfeld ist ja wohl ein bissele übertrieben." Ich lehnte mich so weit es ging über den Gartenzaun: "Da muß man sich schon ganz schön verrenken und um die Ecke gucken, um die zu sehen."
"Haaa...jetzt sagst du auch schon 'ein bissele'. Ich habe also doch recht, du fängst an, schwäbisch zu reden."
"Na super, das hat mir gerade noch gefehlt. Außerdem hatten wir das Thema schon mal."
Nils grinste richtig selbstzufrieden in sich hinein.
Irgendwann am Nachmittag räumten wir dann ein wenig auf, obwohl, so viel Unordnung hatten wir gar nicht gemacht. Und dann zottelte Nils nach Hause. Ich wollte ihn gar nicht gehen lassen. Wir standen wieder eine halbe Ewigkeit im Flur und hielten uns nur fest.

Und nun sitze ich hier, warte eigentlich nur, daß Mom, Dad und Lisa wieder kommen und denke an den vergangenen Tag. Es war so schön. Und ich überlege, daß es bestimmt ganz toll wäre, wenn wir irgendwann mal zusammen eine eigene Wohnung haben. Wenn wir jeden Tag zusammen verbringen können. Jeden morgen von Nils geweckt zu werden, jeden abend einschlafen mit seinem Kopf auf meiner Brust. Ihn immer, wenn man Lust hat, in den Arm zu nehmen und zu küssen. In meinen Gedanken fange ich schon an, unsere gemeinsame Wohnung einzurichten. Verrückt, ich weiß. Aber es ist eben ein Traum.
Jetzt höre ich unseren Wagen die Einfahrt raufkommen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen