Donnerstag, 31. Oktober 1996

31. Oktober

"Ich bin heute Abend auf einer Party von Doris."
"Du kommst ja sowieso nur noch zum Essen und Wäschewechseln nach Hause."
"Das stimmt nicht."
"Seit du von der Klassenfahrt zurück bist, sieht man dich jedenfalls so gut wie gar nicht mehr."
"Laß ihn doch. Was soll er denn machen? Denn ganzen Tag zu Hause rumhängen? Er trifft sich halt mit seinen Freunden, das haben wir doch früher auch gemacht." Ach, danke Dad, wenigstens habe ich einen Verbündeten zu Hause. Mom ließ dann noch ihr klassisches: "Hier macht ja sowieso jeder was er will" vom Stapel, aber wenigstens war danach Ruhe. Am Vormittag war ich mit Doris in Ulm zum Klamotten einkaufen. Ich weiß gar nicht, wieso wir unbedingt nacht Ulm mußten, aber nun gut. Wir haben uns jedenfalls ganz lustig unterhalten. Sie war richtig gut drauf, obwohl sie irgendwann meinte, ich sollte nun endlich mal aufhören, von Nils zu schwärmen.

Training war so lala. Dimitri gab die Aufstellungen und Einteilungen für das Kochertal-Turnier bekannt. Na toll, ich bin aufgestellt worden. Während sich Nils wie ein kleines Kind darüber freute bin ich alles andere als begeistert. Naja, was soll's, da muß ich durch. Vielleicht mache ich es ja auch wie Max und höre irgendwann auf. Aber das geht nicht, Nils würde bestimmt total ausrasten.

Dann der Abend, die Nacht bei/mit Nils. Ich lebe nur für diese Stunden. Er ist so unendlich zärtlich. Ich bin wirklich der glücklichste Mensch auf der Welt. Wenn wir Arm in Arm daliegen, ist es, als würden wir schweben und alles andere unter uns zurück lassen.
"Seit wann weißt du es?"
"Was?
"Daß du schwul bist?"
"Tim, ich mag dieses Wort nicht."
"Kennst du ein besseres?"
"Nein, ich, ach ich weiß nicht. Vielleicht seit einem Jahr. Und du?"
"Ich glaube schon zwei, drei Jahre. Naja, nicht so, daß ich gesagt habe: 'Ich bin schwul'. Aber ich habe halt immer mehr gemerkt, daß ich auf Jungs stehe." Nils seufzte. "Weißt du, daß du der Allererste für mich bist?"
"Nee, du hast doch mit Manuel unter der Dusche rumgemacht", sagte ich lachend. Aber Nils nahm es toternst: "Sei nicht so primitiv. Das war nichts, überhaupt nichts. Außerdem haben wir sofort aufgehört, nachdem du reingekommen bist." Ich küßte ihn, um ihn zu beruhigen. "Und bei dir?" Nils kniff die Augen zusammen.
"Ich habe schon ein paarmal mit Jungs vorher rumgemacht."
"Wie? Rumgemacht?"
"Naja, zusammen gewichst. So wie du und Manuel zum Beispiel. Gewichst unter der Dusche oder in der Kabine, im Schwimmbad."
Er sah mich mit großen Augen an: "Wie verdammt noch mal konntest du wissen, daß die, daß die SO sind?"
"Ich wußte es nicht. Aber wenn du unter der Dusche stehst und einen Ständer bekommst und der Typ gegenüber auch, dann ist es doch wohl eindeutig, oder?"
Nils stand auf und ging im Zimmer umher. "Ich weiß nicht, wenn ich mir vorstelle, daß du schon mit zig Jungs rumgemacht hast...", seine Stimme klang schon fast verzweifelt. Mein Gott, was hatte ich nur getan? Ich stand auf und umarmte ihn: "Hey, das war nichts, das war einfach nur Abspritzen und das war es. Das hier", ich küßte ihn, "das ist mein allererstes Mal." Wir ließen uns auf's Bett fallen und drückten uns mit aller Kraft aneinander. Laß mich nicht los, laß mich nie allein!

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