Dienstag, 2. April 1996
2. Aprl
14:05
»Ich finde sie einfach nur zum Kotzen«, blaffte Tobi. Ich habe ihn in der Pause zur Rede gestellt, warum er sich in den letzten Tagen so bekloppt aufgeführt hat. Ich muß wohl ziemlich verwirrt geguckt haben, denn er fuhr fort: »Nils, Melanie und der Rest, die tun immer alle so ultracool. Das ist ja alles sooo toll, was sie machen und sagen. Ich dachte, du bist anders. Aber jetzt hängst du auch ständig mit diesen Deppen rum.« Eigentlich wollte ich ihm sagen, daß es ihn einen Scheißdreck angeht, mit wem ich mich treffe, aber ich hielt meinen Mund. Es war komisch, aber diesmal fing mein Herz nicht an wie wild zu schlagen. Ich sah direkt in seine traurigen Augen, und plötzlich tat er mir unendlich leid. Er hatte keine Freunde in der Klasse. Während alle anderen in irgendwelchen Cliquen rumhängen, wandert er meistens alleine über den Schulhof oder ist überhaupt nicht sichtbar. Ich wollte ihn in den Arm nehmen und trösten, so wie ein kleines Kind. Statt dessen knuffte ich ihn und schlug ihm vor, daß er am Nachmittag zu mir kommen sollte. Einen winzigen Augenblick lang kniff er die Augen zusammen, dann strahlten sie Augen, und er knuffte zurück. Es klingelt, Tobi. Ich glaube, heute passiert es.
20:45
Es ist nicht passiert. Aber es war trotzdem schön mit Tobi. Wir saßen lange auf meinem Bett und haben über alles mögliche gequatscht. Irgendwann stand er auf, ging zum Fenster und blickte raus. Wir schwiegen fast zehn Minuten, bis er mich schließlich fragte: »Wirst du hierbleiben, nach der Schule?« Ich stellte mich neben ihn, unsere Schultern berührten sich. »Nein, bestimmt nicht«, sagte ich. »Ich will so schnell wie möglich wieder zurück nach Hamburg. Oder woanders hin, New York, London, oder was weiß ich. Bloß nicht hier in der Einöde verkümmern.« Tobi seufzte. »Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben.« Ich verstehe ihn nicht. Was will er denn hier? Den ganzen Dorfmief und noch dazu keine Freunde? Plötzlich stelle ich mir Tobi als Rentner vor, der alleine auf einer Parkbank sitzt. Mir wurde ganz anders. Ich verscheuchte den Gedanken und schlug ihm vor, mitzukommen, Lisa vom Kindergarten abzuholen.
Lisa wartete schon an der Tür. Ganz aufgeregt präsentierte sie ein paar Ostereier, die sie bemalt und mit Füßen und Ohren beklebt hatte. Sie erklärte mir, daß das Papa-Mama-Kind-Ostereierhase wären. Ich guckte zu Tobi. Er lächelte. Auf dem Heimweg kam ich mir irgendwie ganz komisch vor. So als wäre sie gar nicht meine kleine Schwester, sondern meine Tochter, und Tobi und ich wären ein Ehepaar. Ich hätte zu gern gewußt, was Tobi in diesem Moment dachte, doch er spielte gerade Flieger mit ihr. Zu Hause stellten wir die Ostereierhasen-Familie auf den Eßtisch, und Lisa war ganz aufgeregt, was Mom und Dad wohl sagen würden. Mom gefiel die neue Dekoration, und sie meinte, Lisa müsse jetzt jede Woche etwas basteln und mitbringen. Ich stellte ihr Tobi vor, und sie fragte, ob er zum Essen hierbleiben will. Ich habe ihn flehend angesehen und ganz heftig ›Ja, ja, ja‹ gedacht. Doch er schüttelte den Kopf und sagte, daß seine Mutter sicher schon zu Hause wartet. Dann ist er abgedüst. Bevor er um die Ecke bog, schaute er sich noch mal um und winkte. »Ein netter Junge«, sagte Mom. Ich kann ihr nicht widersprechen.
»Ich finde sie einfach nur zum Kotzen«, blaffte Tobi. Ich habe ihn in der Pause zur Rede gestellt, warum er sich in den letzten Tagen so bekloppt aufgeführt hat. Ich muß wohl ziemlich verwirrt geguckt haben, denn er fuhr fort: »Nils, Melanie und der Rest, die tun immer alle so ultracool. Das ist ja alles sooo toll, was sie machen und sagen. Ich dachte, du bist anders. Aber jetzt hängst du auch ständig mit diesen Deppen rum.« Eigentlich wollte ich ihm sagen, daß es ihn einen Scheißdreck angeht, mit wem ich mich treffe, aber ich hielt meinen Mund. Es war komisch, aber diesmal fing mein Herz nicht an wie wild zu schlagen. Ich sah direkt in seine traurigen Augen, und plötzlich tat er mir unendlich leid. Er hatte keine Freunde in der Klasse. Während alle anderen in irgendwelchen Cliquen rumhängen, wandert er meistens alleine über den Schulhof oder ist überhaupt nicht sichtbar. Ich wollte ihn in den Arm nehmen und trösten, so wie ein kleines Kind. Statt dessen knuffte ich ihn und schlug ihm vor, daß er am Nachmittag zu mir kommen sollte. Einen winzigen Augenblick lang kniff er die Augen zusammen, dann strahlten sie Augen, und er knuffte zurück. Es klingelt, Tobi. Ich glaube, heute passiert es.
20:45
Es ist nicht passiert. Aber es war trotzdem schön mit Tobi. Wir saßen lange auf meinem Bett und haben über alles mögliche gequatscht. Irgendwann stand er auf, ging zum Fenster und blickte raus. Wir schwiegen fast zehn Minuten, bis er mich schließlich fragte: »Wirst du hierbleiben, nach der Schule?« Ich stellte mich neben ihn, unsere Schultern berührten sich. »Nein, bestimmt nicht«, sagte ich. »Ich will so schnell wie möglich wieder zurück nach Hamburg. Oder woanders hin, New York, London, oder was weiß ich. Bloß nicht hier in der Einöde verkümmern.« Tobi seufzte. »Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben.« Ich verstehe ihn nicht. Was will er denn hier? Den ganzen Dorfmief und noch dazu keine Freunde? Plötzlich stelle ich mir Tobi als Rentner vor, der alleine auf einer Parkbank sitzt. Mir wurde ganz anders. Ich verscheuchte den Gedanken und schlug ihm vor, mitzukommen, Lisa vom Kindergarten abzuholen.
Lisa wartete schon an der Tür. Ganz aufgeregt präsentierte sie ein paar Ostereier, die sie bemalt und mit Füßen und Ohren beklebt hatte. Sie erklärte mir, daß das Papa-Mama-Kind-Ostereierhase wären. Ich guckte zu Tobi. Er lächelte. Auf dem Heimweg kam ich mir irgendwie ganz komisch vor. So als wäre sie gar nicht meine kleine Schwester, sondern meine Tochter, und Tobi und ich wären ein Ehepaar. Ich hätte zu gern gewußt, was Tobi in diesem Moment dachte, doch er spielte gerade Flieger mit ihr. Zu Hause stellten wir die Ostereierhasen-Familie auf den Eßtisch, und Lisa war ganz aufgeregt, was Mom und Dad wohl sagen würden. Mom gefiel die neue Dekoration, und sie meinte, Lisa müsse jetzt jede Woche etwas basteln und mitbringen. Ich stellte ihr Tobi vor, und sie fragte, ob er zum Essen hierbleiben will. Ich habe ihn flehend angesehen und ganz heftig ›Ja, ja, ja‹ gedacht. Doch er schüttelte den Kopf und sagte, daß seine Mutter sicher schon zu Hause wartet. Dann ist er abgedüst. Bevor er um die Ecke bog, schaute er sich noch mal um und winkte. »Ein netter Junge«, sagte Mom. Ich kann ihr nicht widersprechen.
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jippiiii!!!
AntwortenLöschendie MATTENJAHRE sind wieder online ;)))