Donnerstag, 18. April 1996

18. April

13:50
»Mein Gott, was ist denn mit dir los? Hast du die letzten Nächte durchgesoffen, oder was ist los?« Doris sah echt besorgt aus. Ich wünschte, das wäre der Grund, der würde wenigstens vorbeigehen. Falkenberg hat einen Riesenterz gemacht, daß ich gestern einfach verschwunden bin. So mit ›Das geht aber so nicht‹ und ›Du mußt dich wenigstens abmelden.‹ Bla, bla, bla. Scheiß drauf!

In der Pause hätte ich Tobias fast geschlagen. Er stand natürlich mit Meike zusammen, und sie küßten sich. Ich war kurz davor, rüberzugehen und ihm eine runterzuhauen. ›Du mußt versprechen, es niemandem weiterzuerzählen.‹ So ein verlogener Penner! Guckt her, die ganze Schule sieht es: Tobias, mein Tobias knutscht mit so einer dummen Kuh auf dem Schulhof rum! Ich wäre wirklich fast zu ihm rübergegangen, doch in dem Moment kam Doris. Sie fragte: »Sind sie nicht niedlich, die beiden?«
»Ich könnte kotzen«, schrie ich heraus.
Doris guckte mich total verwirrt an. Ich wollte nichts erklären. Was hätte ich auch erklären können? Ich ging rüber zur Clique von Nils und Melanie. Sie fragten, ob ich am Wochenende mit ins X1 komme. Eigentlich hatte ich nun überhaupt keine Lust. Aber dann schoß es mir durch den Kopf: Ich wollte Tobias weh tun, So wie er mir weh getan hat und es immer noch tut. Und ich habe für Samstag zugesagt.
Nils grinste: »Na, wir machen aus dir schon was!«
»Bild’ dir bloß nichts ein. Ich war in Hamburg in Läden drin, davon träumst du nur. Aber das versteht ja so einer vom Dorf sowieso nicht.« Plötzlich waren alle still. Ok, das war natürlich Scheiße. Nils konnte ja nun echt nichts dafür, daß ich sauer auf Tobi war. Nils guckte mich an und seine Augen wurden ganz starr »Paß mal auf, du Wichser, wenn du glaubst, du kannst hierher kommen und den Master of the Universe spielen, nur weil du aus so einer tollen vornehmen Stadt kommst, dann hast du Trauer!« Ich ging auf ihn zu. Ich weiß gar nicht, was ich eigentlich genau machen wollte, ich versuchte ihn nach hinten zu stoßen. Doch er war schneller. Blitzschnell lag ich auf dem Boden, Nils über mir und hielt meinen rechten Arm und meinen Kopf in einem harten Griff. »Und noch eines«, flüsterte er ganz ruhig, »lege dich nie mit einem Ringer an. Ich hoffe, du kapierst das jetzt end-ich.« Er ließ los. Ich hockte auf der Erde und war kurz davor zu heulen. Es klingelte. Ich blieb auf dem Boden hocken. Nils neben mir. »Na komm schon, steh' auf. Er buffte mich leicht in die Seite. »Nicht sauer sein, aber du bist ja gleich so auf mich zugekommen, da konnte ich einfach nicht anders.«
»Ist schon o.k. Sorry, mir geht's im Moment einfach nicht so gut. War nicht so gemeint, mit dem Dorf.«
»Alles klar.«
»Wie hast du das gemacht eben?«
»Das war ein ganz einfacher Griff, ein kleiner kurzer Hebel.«
»Du bist Ringer?«
»Jaaaa! Na klar! Mensch! Du bist hier in Bergbach. Hier kommen alle guten Ringer her. Hier ringt eigentlich fast jeder.«
Tobias bestimmt nicht, schoß mir durch den Kopf. Ich erinnere mich, daß ich mal bei einem Ringkampf beim FSV war. Irgendein Freund von Tassi hatte ein Turnier, und es war irgendwie seltsam. Ich fragte mich, was es wohl für ein Gefühl war, sich mit jemandem halbnackt auf dem Boden zu rollen. Aber irgendwie fand ich das damals auch geil. Nach dem Wettkampf bin ich auf dem Klo verschwunden, um mir einen runterzuholen. Hamburg. Eine völlig andere Welt.
Nils holte mich wieder zurück nach Bergbach: »Komm doch einfach mal mit zum Training.«
»Ich kann nicht ringen.«
»Du sollst es ja auch nicht können, sondern lernen.«
Er boxte mich leicht: »Heute um vier geht's los, ich hole dich ab. Keine Widerrede.«

Jetzt sitze ich hier und überlege. Soll ich tatsächlich mitgehen? Ich werde mich voll zum Horst machen. Andererseits ... was würde Tobias sagen, wenn er erfährt, daß ich ringe? Ich glaube, er würde abkotzen. Ja! Gut so! Bei dem Gedanken muß ich tatsächlich ein bißchen lächeln. Es klingelt. Ja, ich werde es probieren. Woher weiß Nils eigentlich, wo ich wohne?


23:10
Ich war beim Ringer-Training. Zum ersten Mal. Komisches Ding. Während Nils sich umzog, ging ich in die Halle. Der ganze Fußboden besteht nur aus Matten. Überall wuselten irgendwelche Leute rum. In einer Ecke saß eine Gruppe Jungs, und ich erkannte Florian. Ich ging zu ihnen rüber, als mich plötzlich eine Stimme anschrie: »Schuhe aus!« Ich drehte mich um. Ein Berg kam auf mich zu, ein Berg. »Schuhe aus, du Pfeife«, wiederholte er. Der Berg stand direkt vor mir: »Wer bist du denn?« Zum Glück kam Nils: »Das ist Tim, ein Neuer aus meiner Klasse und er will ringen.« »Na, wenigstens mal versuchen«, murmelte ich. Mein Kopf war völlig dicht. »Auf der Matte nicht mit Straßenschuhen spazieren gehen, klar?« Der Berg wurde etwas freundlicher, mit einem Akzent wie russisch oder polnisch. Reg dich ab, Mann, wollte ich sagen, doch es war bestimmt besser, nichts zu sagen.
»So, du willst also ringen.« Er musterte mich von oben bis unten. »Gewicht?« Woher sollte ich das denn wissen? Das letzte Mal stand ich auf einer Waage bei der Schuluntersuchung im GySue. Ich zuckte mit den Schultern.
»Schon mal gerungen?« Konnte dieser Mann eigentlich auch einen einzigen zusammenhängenden Satz von sich geben?
»Nein, bisher noch nicht.«
»Und warum willst du ausgerechnet ringen?« Na bitte, es geht doch, allerdings war ich auf diese Frage nun wirklich nicht vorbereitet. Die Wahrheit und ich hätte wahrscheinlich die Halle nicht lebend verlassen. »Ich wollte eigentlich schon lange ringen lernen, aber in Hamburg ging das nicht.« Er schnaufte verächtlich durch die Nase: »Bei dem Verein da auch kein Wunder. Schon mal Sport gemacht?«
»Na klar, früher Schwimmen und bis vor kurzem Tennis.«
Der Berg verdrehte die Augen: »Oh, wir haben einen ganz hohen Herren hier. Der Herr spielt Tennis in seinen weißen Hemdchen und Höschen. Springt einem kleinen Ball hinterher.« Die anderen lachten, und ich wurde stinksauer. Sein Zeigefinger tippte auf meiner Brust, ich versuchte, nicht nach hinten zu kippen, langsam tat es weh. »Ringen ist ein Sport für Männer! Klar?« Ich versuchte, ihm trotzig in die Augen zu blicken. Nur keine Schwäche zeigen. Ich erinnerte mich, was ich mal in einem von Dads Managerbüchern gelesen hatte, den Blick genau zwischen den Augen fixieren. »Tennis ist was für verwöhnte Schmarotzer, Fußball ist ein Sport für Schwächlinge, und wenn du eine Memme bleiben willst, dann geh’ Basketball spielen.« Sein Finger tippte immer noch auf meiner Brust rum. »Du willst Ringer werden? Du wirst bluten, du wirst jeden Knochen einzeln zählen, du wirst tagelang nicht kriechen können. Willst Du das?« Verdammt noch mal, was sollte denn das? Bin ich hier in 'ner Horrorshow? Ich wollte eigentlich nichts lieber als so schnell wie möglich hier abhauen. Ich guckte zu Nils. Der nickte.
»Ja, verdammt noch mal, ja.« Nur raus hier, dachte ich, macht euer Scheiß-Ringen doch alleine. Doch irgendwas hielt mich davon ab. Der Berg vor mir: »Wir werrrrden sehen. – Hast du Trainingszeug dabei?« Ich nickte. »Zeig ihm, wo er sich umziehen kann.«

Ich warf meinen Rucksack in eine Ecke und ließ mich auf die Bank vor den Schränken fallen. Nils hatte die Tür der Umkleide hinter uns zugemacht. Der Lärm der Halle klang nur noch gedämpft zu uns herein.
»Was ist denn das für ein Penner?«
»Das ist Dimi.«
»Dimi?«
»Dimitri, unser Trainer.« Ich fand Dimi absolut unpassend für so einen Klotz.
»Ich glaub, ich geh' wieder. Ich bin doch hier nicht im Straflager.«
Nils lachte: »Komm, das gehört dazu, er wollte dich testen.«
»Ich hasse so was, ich bin doch kein Stück Vieh.«
»Ich weiß«, sagte er plötzlich ganz leise und blickte mir in die Augen. Eine Sekunde, zwei Sekunden. Es war, als ob ein Strahl seine Augen verließ, durch meine Augen eindrang und irgendwas in mir zum Glühen brachte. O mein Gott! Alles an ihm schien so perfekt zu sein, die Augen, die Nase, sein Mund mit den wunderschönen Lippen. Nils, um alles in der Welt, schau mich nie wieder so an. Ich guckte weg. Er ist ein Hete, verdammt noch mal!
»Na, komm schon, Kleiner.«
Ich kramte meine Sachen hervor. Sah er mir zu, wie ich mich umzog? Nein, wieso auch, er ist ein Hete.
»Was ist mit diesen komischen Dingern, die ihr beim Ringen anhabt?« »Ach du meinst Trikots? Brauchst du ned fürs Training, und bis zu deinem ersten richtigen Kampf wird's ja noch mindestens eine Woche dauern.« Er grinste und schob mich in die Halle.
Aufwärmen, zehn Runden, nach jeder Runde zehn Liegestütz usw. Meinem altem Tenniscoach sei Dank. Nach einer halben Stunde standen wir alle schweißnaß in einer Runde. Ich blickte mich um – ich war nicht fertiger als die anderen. Im Gegenteil. Ein paar von den anderen Jungs pusteten viel mehr als ich. Wenigstens etwas.
»Unser Herr scheint gut trainiert zu sein.« Oh, ein anerkennendes Wort vom Lageraufseher persönlich. »Bist du bereit?« Ich wußte nicht, was er meinte. Wahrscheinlich erwartete er auch keine Antwort. Er zeigte nur auf die Mitte der Matte. »Dann zeig uns mal, was du kannst.« Was sollte denn das jetzt werden?
»Ich hab doch gesagt, ich hab noch nie gerungen, was soll ich denn jetzt zeigen?« Dimi schien mich nicht zu hören, er sprach leise mit einem anderen Jungen. »Hier«, sagte er, »du kämpfst gegen Florian, der ist deine Gewichtsklasse.«
Oh Shit. Jetzt war ich endgültig am Arsch. Adios Amigos, Schluß mit dieser bekloppten Idee, Ringer werden zu wollen. Nils zwinkerte mir zu, Dimi flüsterte Florian etwas ins Ohr, Florian nickte. Wahrscheinlich irgendsowas wie ›mach ihn fertig‹.

Wir standen in der Mitte der Matte. Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich also auf einer Ringermatte, ein echter Ringer mir gegenüber. Florian hatte aufgehört zu grinsen und blickte mich finster an. Ich fand das irgendwie total albern. Dimitri pfiff, und es ging los. Doch was ging eigentlich los? Was sollte ich machen? Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Ich versuchte mich krampfhaft an die Ringkämpfe, die ich im Fernsehen gesehen hatte, zu erinnern. Irgendein Griff, irgendwas, Fehlanzeige. Florian kam in gebückte Haltung auf mich zu, griff an, ich wich aus. Ein lautes Buhen kam von den anderen. Wie mache ich mich am besten zum Horst? Also gut, wenn's sein muß. Ich schaffte es, mich unter Florian zu ducken, ergriff seinen Fuß und riß ihn hoch. Er fiel nach hinten über und landete mit einem lauten Rumms auf der Matte. Ich bekam den totalen Schreck. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Doch er rap-pelte sich blitzschnell wieder auf. Ich erwischte ihn noch im Aufstehen, umfaßte seinen Oberkörper und drehte ihn herum. »Yeah, Timmi, weiter so«, Nils grölte. Florian drückte sich platt wie eine Flunder auf den Boden. Mutig geworden, versuchte ich ihn umzudrehen. Ich griff nach seinem Oberschenkel, es ging nichts, seinen Arm – unmöglich. »Einsteiger, Einsteiger«, schrie Nils. Keine Ahnung, was er damit meinte. Ich schaffte es, meinen linken Arm über seine Schulter zu schieben. Mein rechter Arm glitt unter seine Hüfte. Für eine Zehntelsekunde berührte meine Hand seinen Schwanz. Sorry, wollte ich sagen, doch mein Kopf schaltete schon weiter, ich verschränkte meine Hände und begann ihn hochzudrehen. Ich erinnerte mich an Physik. Hebelgesetze, Kraft mal Gewicht gleich Hebelarm mal blabla. Florian landete auf dem Rücken. Ich hielt ihn fest. Dimitri pfiff. Es war vorbei. Wow, das war alles? Mein Herz raste wie wild, ich rang nach Luft. Ich war stolz, mein erster Schultersieg. Florian rappelte sich auf und grinste mich unverschämt an. Etwas mehr Anerkennung wäre nicht schlecht. »Und?« ich guckte fragend zu Dimitri.
»Na ja.«
Was denn noch, ich hatte einen seiner Ringer auf die Matte gelegt.
»Kann ich nun mitmachen?«
»Was meint ihr?« er blickte in die Runde. Ich verstand überhaupt nichts mehr, dieser Mann fragte die anderen nach ihrer Meinung? Sie grölten und trommelten auf die Matte. »Timmi ist der Champion«, prustete Nils. Irgendwas stimmt hier nicht. Ich hatte die Faxen dicke: »Verdammt noch mal, was wollen Sie eigentlich?« schrie ich ihn an. »Ich habe immerhin einen Ihrer Klasse-Ringer auf die Matte gelegt.«
Plötzlich klang seine Stimme ganz tief und ruhig: »Was glaubst Du, hast Du gemacht?«
»Ich habe meinen Gegner geschultert«, sagte ich trotzig, »und ich habe gewonnen.«
Er brummte etwas. Na also. Dann drehte er sich um, schnippte in Florians Richtung. Der sprang auf, und Dimitri wies mich mit einer Handbewegung wieder auf die Matte.

Total verwirrt stand ich Florian wieder gegenüber. Also gut, dann eben noch mal. Angriffsstellung, ein Pfiff. Was dann passierte, weiß ich nicht mehr genau. Ich weiß nur noch, daß ich blitzschnell auf dem Rücken lag und die Deckenlampen mich blendeten. Florian hielt mich lachend fest. Als Dimitri näher kam, ließ er los und stand auf. Ich blieb liegen, schloß die Augen. »Du hast gewonnen, denkst du? Du hast gar nichts. Du hast gegen Florian gewonnen, weil ich es so wollte – ich wollte sehen, wie du kämpfst und nicht in einer Sekunde am Boden liegst. So wie jetzt«

Shit! Verdammte Scheiße! Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Dieser Penner. Er hatte mich zum größten Idioten dieser Welt gemacht, mich bis auf die Knochen blamiert. Und ich war darauf hereingefallen, war sogar noch stolz auf meinen vermeintlichen Sieg gewesen. Dimitri grinste: »Na komm schon, steh auf und zieh dich um. Du kannst mitmachen. Montag um vier bist du wieder hier. Dann geht es richtig los.«

Ich ging in die Umkleide und warf mich auf die Bank. Hier hatte ich vor einer Stunde noch gesessen. Nils hatte mir tief in die Augen geblickt. Ich wünschte mir diese Sekunden zurück. Sie sollten nie mehr aufhören. Was war passiert? Ich hatte mich bis auf die Knochen blamiert. Für 30 andere Jungs habe ich mich wie der absolute Volltrottel benommen. Ich erinnere mich an Blau-Gold, an den ersten Tag beim Training. Der Trainer sprach mit Dad. »Na komm, Tim, wir schauen erst mal, was die anderen Jungs machen«, hatte er freundlich gesagt, und wir waren zusammen auf den Platz gegangen. Das waren zwei Welten. Die Tür öffnete sich. Nils kam herein und pfiff durch die Zähne: »Wrestler's in da house«, rappte er.
Ich sagte nichts und packte wütend meine Sachen.
»Ach komm«, er buffte mich in die Seite. »Du warst nicht schlecht.«
»Ich will nicht mehr.« Er packte mich bei den Schultern. Ich fühlte seine warmen, weichen Hände auf meiner Schulter. Da war er wieder, dieser Blick, der in mir alles zum Drehen bringt.
»Doch, du willst,« sagte er, »du wolltest es schon immer, und du willst es immer noch.«
Was glaubt Nils zu wissen, was niemand weiß? Er drehte sich um und begann auf und ab zu gehen. »Was hast du erwartet? Bist du vielleicht Big King Alex Leipold? Du kommst hier aus deinem scheißvornehmen Hamburg, wohnst hier in einem scheißteuren Haus und denkst jetzt, du bist Master of the Universe?« Schon wieder dieser komische Ausbruch. Ich verstand überhaupt nicht, was er wollte.
»Das ist ungerecht, das stimmt nicht. Ich dachte, das hier ist ein Sportverein, wo jeder eintreten kann und ringen kann, wenn er Lust hat.«
»Ringen ist nicht nur irgendein Sport. Du gehst damit und du schläfst damit, du ißt es und du atmest es. Es ist überall.« Mein Gott, wer hatte ihm denn diesen Blödsinn eingetrichtert? »Du bist im Team, also hör auf zu jammern.« Er knallte die Tür zu seinem Schrank zu. »Laß uns duschen gehen.«
In diesem Augenblick kam die Horde herein. Florian kam auf mich zu und boxte mir auf die Brust: »Nicht sauer sein.« Ich versuchte, irgendein Zeichen von Spott in seinem Gesicht zu finden, doch er lachte mich einfach nur freundlich an. Er war einer der wenigen, der beim Training eins von diesen Trikots getragen hatte. Und er stand direkt vor mir. Mein Fotoblick. Jedes Blinkern mit den Augen ist ein Foto. Ich will diese Bilder behalten. Klick, ein Bild von seiner Wölbung im Trikot. Du hast einen schönen Schwanz, und ich hab ihn für den einen winzigen Augenblick berührt. Ob er es gemerkt hatte? Ich riß mich zusammen. »Ist schon o.k.«, sagte ich.
»Du warst gar nicht mal schlecht. Gib's zu, du hast früher schon mal gerungen.«
»Nein, echt nicht.«
»Wow, ein Naturtalent«, sagte der Typ hinter ihm. »Ich bin Kevin, 70 Kilo.«
Gewicht scheint hier ja unheimlich wichtig zu sein. Er reichte mir großbrüderlich die Hand. »Wo kommst du her?«
»Hamburg.«
»Wow, ein Seebär.« Gott sei Dank hatte er nicht Fischkopp gesagt, ich wäre ihm an die Gurgel gegangen, obwohl er gut zwei Kopf größer ist. Irgend jemand grölte: »An der Nordseeküste...«
»Bitte um die Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Sir.« grinste ich.
»Erlaubnis erteilt, Sir. Willkommen an Bord. Captain. Sir.«
Ich fing Nils' zufriedenen Blick auf: »Captain Iglo!«. Ich kramte in meiner Tasche. Als ich wieder hochblickte, sah ich Nils nackt mit dem Rücken zu mir an seinem Schrank stehen. Bloß das jetzt nicht. Blitzschnell zog ich meine Jeans an. Als er sich umdrehte, runzelte er die Stirn. »Was ist denn nun?«
»Ich habe mein Duschzeug vergessen«, log ich. An der Tür drehte ich mich noch mal um und sagte: »Danke, du bist cool.«
»Ich weiß. Nichts zu danken.« Nils lächelte.
Ich habe Mom und Dad nichts erzählt. Zu viele Sachen gehen mir im Moment noch im Kopf rum. Was ich nicht verstehe ist, warum ich eigentlich weitermachen will? Irgendwie ist Ringen überhaupt nicht spannend. Wo ist denn das, was ich in Hamburg geil gefunden habe? Keine Ahnung, aber ich mache weiter. Und einen Vorteil hat die ganze Sache: Ich habe den ganzen Nachmittag und Abend nicht einmal an Tobias gedacht. Und jetzt? Jetzt bin ich einfach zu müde. und mein Kopf ist voll. Aber womit eigentlich?

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