"Tim, aufwachen."
Nils küßte mich auf die Stirn: "Es gibt Frühstück."
"Frühstück?"
Ich weiß nicht wie. Aber Nils hatte es fertiggebracht, einen perfekten
Frühstückstisch zu zaubern. Ich dachte echt, ich träume. Sogar ein paar
Blümchen standen auf dem Tisch.
"Wie hast du denn das..."
Mit einem Kuß brachte er mich zum Schweigen: "Es tut mir Leid wegen
gestern. Ich glaube, ich habe mich ziemlich scheiße benommen."
Ich sagte nichts, konnte nichts sagen. Konnte ihn einfach nur in den Arm
nehmen und drücken. Ich glaube, es gibt niemanden auf der Welt, der
glücklicher ist als ich. Und es gibt keinen lieberen Freund auf der Welt
als Nils, meinen Nils.
"Was ist denn mit Tennis spielen? Hast du nicht gesagt, du nimmst Schläger mit?"
"Ja, aber ich denke du willst nicht."
"Wir können es ja mal probieren."
"Ach komm, du sollst mir keinen Gefallen tun. Wenn du nicht willst, dann spielen wir nicht."
"Wer weiß, vielleicht macht es mir ja sogar Spaß und ich schlage dich."
"Das glaube ich nun garantiert nicht."
Nils versuchte, sich wacker zu halten, aber es war nicht wirklich gut.
Ok, was hatte ich denn erwartet. Er hat noch nie in seinem Leben Tennis
gespielt, naja und so hat er dann auch auf dem Platz ausgesehen. Nach
einer Stunde war er total außer Atem. ER! NILS war außer Atem!
"Ich denke, wir hören jetzt auf", meinte ich.
"Wie? Jetzt schon? Laß uns weiter spielen."
"Du bist doch schon jetzt total fertig."
"Ich bin nicht fertig. Ich werde gerade erst warm."
Ich mußte lachen, weil mir diese Szene aus 'Ritter der Kokosnuß' in den Kopf kam.
"Wir spielen morgen weiter. Jetzt machen wir etwas anderes."
"Und was?"
"Du wirst schon sehen."
Wir taperten zum Baywatch-Turm und liehen uns zwei Bodyboards aus.
"Jetzt, mein großer Ringer, werden wir raus auf's Meer schwimmen und werden uns auf diese Bodyboards stellen."
"Was? Bei den Wellen?"
"Wo sind hier Wellen? Das Meer ist ruhig wie die Alster um Mitternacht."
"Und was soll das?"
"Das fragst DU mich? Erzählst du mir nicht immer etwas von Gleichgewicht? Ich glaube DAS ist die ideale Gleichgewichtsübung."
"Ich glaube", murmelte Nils, "ich habe einen großen Fehler gemacht, als ich dich zum ersten Mal zum Ringen mitgenommen habe."
Ich grinste. Und ich grinste noch mehr, als wir unsere Session auf den
Boards machten. Ich gebe zu, es war gemein, weil Nils ja keine Erfahrung
mit Surfen, Bodyboard oder so was hat. Aber ich glaube, es ist wirklich
eine gute Sache für das Gleichgewicht. Jedenfalls lag er mehr im
Wasser, als daß er auf dem Board stand.
Aber Nils hat dann doch noch Gelegenheit gehabt, sich zu "rächen". Wir
machten hinterher wieder Griff- und Techniktraining am Strand. Und
natürlich sah ich total blaß aus dabei. Nach einer halben Stunde war ich
total fertig. Nils saß auf mir drauf und grinste: "Und?"
"Was und?"
"Wer ist der bessere Ringer?"
"Na wer wohl, was glaubst du denn, beweisen zu müssen?"
Nils blieb sitzen: "Wo ist dein Kampfgeist?"
"Was meinst du?"
"Erinnerst du dich noch daran, als du mich so einfach geschultert hast. Wo ich überhaupt nichts mehr machen konnte."
"Ungern. Du weißt, wie das mir da ging."
"Aber genau das, was du damals in den Augen gehabt hast, das fehlt dir normalerweise immer noch im Kampf."
"Was meinst du denn?"
"Der absolute Wille zu gewinnen. Es gibt nichts anderes mehr in diesem
Moment. Nur noch gewinnen. Du mußt diesen Killer-Instinkt kriegen."
"Ich will doch niemand umbringen."
"Darum geht es doch gar nicht. Wenn du ringst, dann ist das so, als wenn
du mal eben so zum Spaß auf die Matte gehst. So trallala, gewinne ich,
ist es ok, verliere ich, ist es auch ok."
"Na, ist es doch auch."
Er seufzte, ließ mich los und begann auf und abzugehen. "Willst du denn nicht wirklich gewinnen, wenn du ringst?"
"Doch, das will ich."
"Dann mache es. Das meine ich doch. Damals warst du echt so gut drauf, du hättest gegen jeden in unserer Mannschaft gewonnen."
"Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle, das war es."
"Ja, ich weiß. Aber ich glaube, du verstehst, was ich meine."
"Ich kann nicht jedesmal stinksauer auf meinen Gegner werden und ihn dann auch noch zusammenschlagen."
"Aber das ist eben auch Ringen. Nicht nur Griffe, Griffe und noch mal
Griffe. Ringen heißt auch, im richtigen Moment die richtige Aggression
rauszulassen."
Ich weiß genau, was er meint. Aber ich will es nicht akzeptieren. Ich
weiß, wie es mir damals ging. Und ich weiß, daß ich in dem Moment
wahrscheinlich sogar Silvio krankenhausreif geprügelt hätte. Ich habe
Angst davor, noch mal so eine unkontrollierte Aggression rauszulassen.
"Vielleicht muß ich dich in Leipzig erst total wütend machen, damit du
gewinnst. Oder vielleicht muß dich Heiko erst wütend machen?"
"Mußt du jetzt mit Heiko kommen? Jetzt, wo ich gerade darüber weg bin?"
"Bist du das wirklich?"
Ich schwieg. Warum mußte er jetzt damit anfangen? War nicht alles so perfekt hier? Was hatte Heiko hier zu suchen?
"Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich wirklich da drüber weg bin. Ich weiß nur, daß ich immer seltener an ihn denke."
"Meinst du, daß es total vorbei ist, wenn du gegen ihn gewinnst?"
"Keine Ahnung."
So ein Shit. Mußte er mit dem Thema Heiko anfangen? Jetzt geht er mir
nicht mehr aus dem Kopf. Was soll denn das? Ich komme mir so albern vor.
Trete ich gegen Heiko an? Warum, warum denn nur? Das habe ich mich doch
schon so oft gefragt. Will ich ihn besiegen? Will ich mich besiegen?
Will ich ihm etwas beweisen? Will ich mir was beweisen? Will ich Nils
was beweisen? Und wenn bei irgendeiner dieser Fragen "ja" rauskommt: Ja,
was denn beweisen? War es diese Zehntelsekunde unverschämtes Grinsen
von Heiko, als ich in Bergbach gewonnen hatte, dieses
Augenblicks-Grinsen, das sagte: "Du weißt genau, daß ich dich habe
gewinnen lassen."? Oder ist es dieses Ohnmachtsgefühl, das ich besiegen
will? Dieses Gefühl, daß ich in jemanden verliebt bin, an den ich nicht
rankomme. Und der mir DARUM überlegen ist. Und daß ich diese
Überlegenheit nicht akzeptieren will, daß ich gegen sie kämpfen will und
wenn es auch nur auf der Matte ist? Vielleicht ist es ja wirklich der
wahre Grund. Das ist doch total daneben. Aber je mehr ich darüber
nachdenke, desto mehr glaube ich, daß es das ist.
"Tim? Wo bist du?"
"Überall und nirgends."
Er nahm mich in den Arm und drückte mich fest. "Ich mache dich fit für
Leipzig. So fit, daß du alle Chancen hast zu gewinnen. Aber ob du
gewinnst, ob du gewinnen WILLST, das liegt ganz allein an dir."
"Nils, ich liebe dich. Ja verdammt noch mal, ich liebe dich mehr als alles auf dieser Welt."
Er drückte mich ganz fest an sich.
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