Es dauerte ein halbe Ewigkeit bis wir vom Flughafen beim Krankenhaus
waren. Der Taxifahrer fluchte dauernd vor sich hin. Ich guckte aus dem
Fenster. Außer einem endlosen Stau und jede Menge Autobahn war eine
halbe Ewigkeit nichts zu sehen. Als wir dann endlich in der Klinik
angekommen waren, wollten sie uns erst gar nicht durchlassen. So von
wegen keine Besuchszeit und blaaaa. Mom hat aber ziemlichen Terz gemacht
und endlich haben wir die richtige Station gefunden.
Phil war total überrascht: "Was macht ihr denn hier?"
Er hatte seinen ganzen linken Arm im Gips.
"Was machst DU hier?"
"Ich habe mir den Arm gebrochen, naja und noch die Hand und überhaupt."
"Was ist denn um Gottes Willen passiert? Und wieso bist du hier in
Berlin und nicht in Lüneburg? Und warum hast du nicht angerufen?"
"Welche Frage darf ich denn zuerst beantworten", er grinste. Phil grinste, also konnte es ihm nicht so schlecht gehen.
"Wir sind nach Brandenburg geordert worden, Hohenschönwutzen oder wie
das Kaff heißt. Sandsäcke und Strauchbündel transportieren und auf die
Deiche stapeln. Ich war total müde und fertig und bin irgendwie bei der
Rückfahrt vom Laster runtergefallen."
"So was Blödes", rutsche mir heraus, "man fällt doch nicht einfach so vom Laster."
"Und was ist jetzt genau gebrochen?" wollte Mom wissen
"Wohl mehrere Knochen im Ellenbogengelenk und einer von den
Unterarmknochen ist gesplittert. Und zwei Knochen an der Hand. Ich habe
gedacht, ich sterbe."
Ich verzog das Gesicht: "Und alles operiert?"
"Zum Teil, am Freitag wollen sie noch mal operieren."
Phil meinte aber, daß die Ärzte gesagt haben, daß alle wohl wieder recht
gut zusammenwachsen wird. "Aber ringen werde ich wohl nie dürfen",
lachte er.
"Schade, ich dachte, ich kriege doch noch einen Sparringspartner."
Mir fiel wirklich ein Stein vom Herzen. Die ganzen Stunden davor waren
wirklich absolut schrecklich. Jetzt, wo ich weiß, was los ist, geht es
mir besser. Ok, ich meine, das mit dem gebrochenen Arm und so ist ja
schon schlimm genug, aber es ist wenigstens nichts was bleibt.
Als wir wieder draußen waren aus der Klinik, haben wir erst mal Dad zu
Hause angerufen und ihm alles erzählt. Der hat uns sogar schon ein Hotel
organisiert, weil so spät kein Flieger mehr zurück geht. Und so sind
wir wieder eine halbe Ewigkeit durch die Stadt gegondelt. Und jetzt,
jetzt sitze ich hier auf einem großen Platz an einem ziemlich schrägen
Brunnen und schreibe. Schon komisch, wieder ein Platz und ein Brunnen.
Wie in Bergbach. Ok, es ist kein Marktplatz und hier wuseln die Leute
alle durcheinander. Es ist ein bißchen so wie auf dem Rathausplatz oder
dem Gänsemarkt. Es ist warm und es ist eine gar nicht so schlechte
Stimmung. Ich bin ein bißchen über den Platz getapert, Gedächtniskirche,
jede Menge Leute, die einen malen oder zeichnen wollen, ein Mövenpick
mit leckerem Eis und jede Menge niedlicher Skater. Noch arroganter als
sonstwo. Aber es ist trotzdem schön wieder richtig Wirbel um mich herum
zu haben, Durcheinander, Leben und ich mitten drin. Bergbach mit dieser
Rentnerruhe. Und selbst Stuttgart ist hiergegen nichts. Zwei Mädchen
sprechen mich an, ob ich weiß, wo man hier weggehen kann. Ich schüttele
den Kopf, sage ihn, daß ich auch nicht von hier bin. Sie erzählen mir,
daß sie aus Münster kommen. Wir unterhalten uns eine ganze Weile.
Irgendwann tapern sie weiter. Plötzlich fällt mir Nils ein. Ich hatte
ihn total vergessen. Suche eine Telefonzelle. Es ist schon spät, aber
ich rufe ihn trotzdem an. Es ist schön, seine Stimme zu hören. Ich
erzähle ihm, was passiert ist und daß ich morgen am Nachmittag wieder
zurückkomme. Irgendwie wäre es schön, wenn er jetzt hier wäre. Es ist
komisch. Obwohl ich hier nichts kenne, würde ich ihn einfach an die Hand
nehmen und ihm alles zeigen. Mit ihm durch dieses merkwürdige
Einkaufszentrum tapern, wo mindestens 10 Läden nebeneinander sind, die
total coole Klamotten und Schuhe haben. Wir würden uns an den Brunnen
setzen und den Skatern zuschauen und uns aussuchen, wen wir niedlich
finden und nicht. Und dann? Ja, und dann? Dann würden wir nach Hause
fahren. Zu unserem nach Hause, irgendwo hier in dieser Stadt, in einer
dieser Nebenstraßen. Und wir haben eine Wohnung ganz für uns alleine, wo
niemand uns stört, wo es allen Leuten, die drumherum wohnen total egal
ist, wer wir sind und was wir machen. Und wenn wir Lust auf ein Eis
haben und es ist Mitternacht, dann gehen wir einfach nur runter und
holen uns eines. Ich glaube, ich weiß immer mehr was ich will. Ich will
weg aus Bergbach! Das will ich eigentlich schon von dem ersten
Augenblick an, wo ich angekommen bin. Ich will in eine große Stadt.
Zurück nach Hamburg oder vielleicht hierher nach Berlin. Wo Leben ist,
wo ich am Abend auf die Straße gehe und jede Menge ist los. Wenn ich
hier wäre, dann würde ich mit Nils Hand in Hand durch die Gegend laufen
und ich glaube, Nils würde es auch machen. Hier kennt uns niemand und
auch wenn, es ist garantiert allen egal. Langsam werde ich müde. Ich
werde jetzt zurück zum Hotel gehen und ein kleines Stück von der
Atmosphäre hier mitnehmen.
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