"Es heißt Morbus Hodgkin. Die Ärzte meinen, daß man es ganz gut behandeln kann. Mit einer Heilungschance von 98%"
Da sitzt Tobias und sieht eigentlich aus wie immer. Nein, er sieht nicht
so aus wie immer. Am Hals hat er ein großes Pflaster, ein
Infusionsschlauch verschwindet irgendwo in einem Verband an seiner Hand.
Ich habe einen Kloß im Hals und bin gleichzeitig dankbar, daß Nils und
Doris bei mir sind. Tobias erzählt und er erzählt, als wenn es gar nicht
seine Krankheit ist sondern als wenn er ein Referat in Biologie hält.
Er wirkt auf einmal so unendlich erwachsen. Es ist so eine Art Leukämie
oder ein Krebs von den Lymphknoten. Diese komische Halsentzündung, diese
Schwellung, die er hatte, das waren wohl die ersten Zeichen davon. Er
meint, dadurch, daß das alles noch sehr früh erkannt worden ist, sind
die Chancen wohl gut. Nun bekommt er für mehrere Monate Medikamente. Ihm
werden die Haare ausfallen und alles solche entsetzlichen Sachen.
Nächste Woche kommt er aber zurück nach Hause und kann die Kontrollen
wohl bei uns in Bergbach im Krankenhaus machen.
Ich werde dieses Bild nicht mehr los. Dieses Bild, wie er uns am
Fahrstuhl verabschiedet, mit diesem schrecklichen Gestell mit der
Infusionspumpe dran neben ihm. Und so unendlich tapfer. Und ich kann
immer noch nichts Gescheites sagen. Nur, daß ich ihn besuchen werde,
sobald er wieder zurück ist.
Dad wartet auf dem Parkplatz auf uns. Eine stille Rückfahrt, jeder hängt
wahrscheinlich seinen Gedanken nach. Wir setzen Doris zu Hause ab. Nils
kommt noch mit zu mir.
"Ich war mal in Tobias verknallt", sage ich ihm, als wir allein in meinem Zimmer sind.
"Ich weiß, das hast du mir irgendwann mal erzählt. Und wie geht es dir jetzt?"
"Ich mache mir Gedanken darüber, daß ich seit Ewigkeiten nicht mehr mit ihm geredet habe."
Nils nickt und drückt mich: "Vorwürfe?"
"Vielleicht ja. Ich bin mir nicht sicher. Ich bekomme einen Schreck, wie
schnell man einen Menschen vergessen kann. Wie schnell jemand unwichtig
wird."
"Aber er ist doch nicht unwichtig für dich. Immerhin geht es dir schon
mächtig an die Nieren. Auf jeden Fall warst du heute da und hast ihn besucht. Und das ist gut so"
Ich nickte. Und drückte ihn ganz fest. Es ist schön, daß er da ist.
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