"Können Sie gleich vorbeikommen?"
Das Telefon klingelte, als ich durch die Tür kam. Lisas Kindergarten,
sie ist von irgendeinem Klettergerüst gefallen. Ich hörte gar nicht mehr
hin und raste los. Gottseidank war es nix Schlimmes, denn als ich
ankam, saß eine quietschvergnügte Lisa mit großem Pflaster und Beule da
und malte.
"Es ist vielleicht besser, daß sich das ein Arzt ansieht", meinte die
Erzieherin, ein eigentlich ganz junges Mädchen, das aber mit seinen
hennarot gefärbten Haaren und seinen griesgrämigen Mundwinkeln aussah
wie 50.
Ich schnappte mir Lisa und wir taperten erst mal nach Hause.
Dort rief ich Mom an. Die wollte natürlich gleich losfahren, aber ich
erklärte ihr, daß das alles gar nicht so wild wäre und sie erklärte mir,
wie ich zu Lisas Kinderarzt hinkommen könnte. Ich hatte tatsächlich
Glück, denn obwohl heute Mittwoch ist, hat er am Nachmittag
Sprechstunde. Also saß ich da mit Lisa in einem quietschbunten
Wartezimmer. Lisa war voll in ihrem Element und spielte mit den anderen
Kindern. Ich versuchte mich zu erinnern, wie es war, als ich das letzte
mal beim Arzt war. Ich kann mich tatsächlich nur dunkel daran erinnern.
An das Herzklopfen, an diesen Geruch nach Desinfektionsmittel in der
Praxis, an diesen ekligen Holzspatel im Mund. Irgendwann, ich glaube,
ich muß so 10 oder 11 gewesen sein, war ich nach Sylvester noch mal beim
Augenarzt, weil mir irgendwas ins Auge geflogen war. Aber es war wohl
nix Schlimmes. Naja, der Doc untersuchte Lisa jedenfalls von oben bis
unten und meinte, daß es nichts Schlimmes sei. Zum Glück hat sie wohl
auch alle Impfungen, so daß sie nicht mal eine Spritze brauchte. Mit
einem Merkzettel, auf dem stand, was wir die nächsten Tage beachten
sollten, taperten wir wieder nach Hause. Mom kam uns gleich schon auf
der Einfahrt entgegen. Ich konnte sie beruhigen. Lisa schien diesen
ganzen Rummel um ihre Person zu geniessen. Aber ich bin froh, daß nichts
Ernstes passiert ist.
Irgendwann klingelte das Telefon: Nils. Shit, ja ich habe das Training
heute versäumt. Ich erklärte ihm, was passiert war. Er fragte, ob wir
uns trotzdem noch sehen. Seine Stimme klang hohl, ich wußte, er rief aus
der Telefonzelle an "unserer" Ecke an.
"Ich muß noch mal weg", rief ich meiner verdutzten Family zu und düste
noch mal los. Ich weiß nicht, warum ich nicht das Rad genommen hatte.
Jedenfalls war ich total außer Atem als ich ankam. Nils nahm mich in den
Arm, drückte mich und zog mich hinter die Telefonzelle.
"Ich dachte schon, dir wäre was passiert", flüsterte er, "ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren."
"Mir passiert schon nichts."
Ich fing an zu heulen. Ich konnte nicht anders. Die Tatsache, daß er
sich Sorgen um mich gemacht hatte. Ich bin so hin und weg. Es ist schon
verrückt.
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