"Meine Güte, was ist denn los mit dir? Vielleicht solltest öfters mal
ein paar Wochen pausieren. Du ringst ja wie eine gesengte Sau."
"Was?"
"Ein paar Mal hatte ich ja echt Mitleid mit deinem Gegner."
Ich gebe zu, ich war gut. Nein, ich war nicht gut. Ich war aggressiv.
Ich war wütend. Und wenn ich aggressiv bin, dann ringe ich ohne
nachzudenken und so heftig, daß meine Gegner kaum eine Chance haben.
Marcel war mitgekommen. Natürlich hat er nicht in der Mannschaft
mitgerungen, aber er fuhr mit uns mit zum Wettkampf. Als ich ihn vor der
Halle sah, kochte es in mir wieder hoch. Natürlich war Nils schon da
und unterhielt sich mit ihm. Ich wollte eigentlich gar nicht zu den
beiden hingehen, aber das ging natürlich nicht. Ok, so habe ich also
wenigstens auch schon mal ein paar Sätze mit Marcel gesprochen. Was aber
die Sache nicht leichter gemacht hat, denn er ist wirklich richtig
cool.
Auf jeden Fall war ich dadurch wieder total schlecht drauf. Und es war
meine Wut und meine Aggression, die dazu beigetragen hat, daß ich meinen
Gegner nach zwei Minuten auf den Schultern hatte. Er tat mir auch nicht
einmal leid. Im Gegenteil, ich war stolz auf mich. Und ich war stolz,
daß ich gewonnen hatte, während Marcel mir zuguckte. Jetzt, wo ich das
schreibe, wird mir klar, wie daneben das ist.
"Wenn du immer so ringst, dann fahren wir ja vielleicht zusammen nach Leipzig."
"Nach Leipzig?"
"Erzähle ich dir, wenn es so weit ist, ich muß jetzt erst mal auf die Matte."
Ich hatte noch genügend Adrenalin in mir, daß ich mutig wurde. Ich taperte zu Marcel auf die Tribüne.
"Na, wie sieht's aus? Meinst du, du schaffst es zu uns in die Mannschaft?"
"Ich weiß nicht. Außerdem habt ihr ja schon jemanden in der Gewichtsklasse, Kevin. Und der ist doch sehr gut."
"Ja, schon, aber..." Mir fiel irgendwie nichts ein. Ich saß da und mir
fiel nichts ein, worüber ich mich mit Marcel unterhalten konnte. Es gibt
nichts Schlimmeres als 10, 20, 30 Sekunden Schweigen, wenn man nicht
weiß, was man sagen soll. Zum Glück kam Ina auf uns zu: "Nils hat
gewonnen."
"Ja? Cool."
Na toll, ich hatte Nils' Kampf verpaßt. Ich ließ Ina und Marcel alleine.
Sollten die sich doch beide amüsieren. Ich hatte mich schon genug
blamiert.
Nils hatte sich irgendwie den Hals verdreht. Der Sanitäter ließ ihn die
Finger bewegen und pieckste mit seinem Kugelschreiber auf jede einzelne
Fingerspitze. "Alles ok", meinte er und packte Nils ein Coldpack in den
Nacken.
"Was ist passiert?"
"Ich habe meinen Kopf nicht schnell genug rausbekommen und die Muskeln wahrscheinlich etwas überdehnt."
"Na super."
"Das wird schon wieder."
Jetzt habe ich einen lädierten Freund, der seinen Kopf nicht richtig drehen kann. Finde ich nicht besonders witzig.
Unsere Mannschaft hatte mal wieder gewonnen und entsprechend ausgelassen
war die Rückfahrt. Sogar Nils mit seinem kaputten Hals grölte mit. Wir
stiegen gemeinsam an unserer Kreuzung aus. Marcel saß zusammen mit Flo
und Ina in der letzten Reihe des Busses. Sie schienen sich gut zu
verstehen. Sehr gut. Sie winkten mir zum Abschied zu.
Es hatte geschneit. Bergbach lag unter einen Schneedecke, die alle Geräusche dämpfte.
"Alles klar mit deinem Hals?"
"Ja, das wird schon wieder, mach dir mal keine Sorgen."
Ich küßte ihn zum Abschied und dann stampfte ich durch den Schnee nach
Hause. Es war eine total komische Stimmung. Der Schnee und das Licht
ließen die gesamte Umgebung total unwirklich erscheinen. Mom und Dad zu
Hause saßen vor dem Fernseher. "Na, wie war es?"
"Gewonnen, die Mannschaft und ich auch."
Mom schüttelte ungläubig den Kopf: "Dann scheint es ja wirklich dein Sport zu sein. Obwohl, ich ja eigentlich..."
Ich grinste, sie ist einfach unverbesserlich. Ich schaute zu Lisa ins
Zimmer. Sie schlief friedlich. Ich taperte in mein Zimmer, warf mich
aufs Bett. Schloß die Augen. Doch ich konnte nicht schlafen. Irgend
etwas pochte ich meinem Kopf. Und es waren nicht die Kopfschmerzen von
heute Morgen. Es waren Nils und Marcel. Verdammt noch mal, ich bin immer
noch eifersüchtig. Warum denn? Verdammt noch mal wieso? Ich habe einen
Freund. Wofür brauche ich diesen Marcel? Aber gleichzeitig denke ich:
Wofür braucht denn dann Nils Marcel? Ich rufe Heiko an. Ich muß mit ihm
reden. Er ist der Einzige, mit dem ich überhaupt darüber reden kann.
Doch ich kriege nur seine Mutter ans Telefon: "Nein, Heiko ist nicht da.
Er ist gar nicht in Köln. Er ist an diesem Wochenende in Stuttgart."
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