"Das ist aber eine Fahrerei."
"Wir hätten ja auch den Flieger nehmen können, dann würden wir nicht den ganzen Tag im Zug sitzen."
"Bischt narrisch? Willst mich umbringen?"
Ich grinste. Mein kleiner Nils und das Fliegen. Und so saßen wir also
den halben Tag im Zug, um von Bergbach nach Hamburg zu kommen. Nils,
Oma, Phil und ich. Es war eine total witzige Fahrt. Als wir durch die
Vororte fuhren und erst recht als wir ausstiegen war es, als wenn ich
nach Hause komme. Also richtig nach Hause. Ok, es ist nicht richtig zu
Hause, weil wir ja bei Oma im Haus wohnen, aber trotzdem.
Nachdem wir angekommen waren, griff ich mir Nils und wir taperten als erstes zur Elbe runter.
"Irgendwie aber auch nur ein Fluß", meinte er mit gespielter Langeweile.
War mir ja schon fast klar, daß er nicht in Begeisterungsstürme ausbricht.
"Und das hier ist so dein alter Kochertalweg?"
"Nicht so richtig, vielleicht nur mal, wenn ich hier bei meiner Oma war.
Aber wir, also meine Family und ich, wir haben auf der anderen Seite
der Elbe gewohnt, noch hinter Finkenwerder, in Hausbruch."
"Komische Orte hab ihr hier, Klein Flottbek, Hausbruch, Fischbek. Ziemlich schräg."
"Morgen fahren wir mal hin, wo ich gewohnt habe, und gucken, dann fahren wir mal in die Stadt."
"Welche Stadt?"
"Na, Hamburg."
"Ich denke, wir sind in Hamburg."
"Mein Gott. Wenn ich sage, wir fahren IN die Stadt, meine ich natürlich
in die Innenstadt. Das ist hier ein bissele anders als in Bergbach, wo
du das ganze Dorf in zehn Minuten durch bist."
"Ja, ist ja schon gut."
"Komm, wir fahren mal nach Wedel, zum Willkomm Höft."
"Zu was?"
"Laß dich überraschen, ist ganz witzig."
Und so standen wir eine halbe Stunde später wieder an der Elbe und
warteten auf das nächste große Schiff. Das heißt, eigentlich wartete ich
nur, weil ich ja wußte, was passiert. Nils jedenfalls bekam einen
Riesenschreck als plötzlich die Lautsprecheranlage über uns loslegte.
"Totschick. Geht das den ganzen Tag so?"
"Fast, in der Nacht ist Ruhe."
"Na toll."
"Hey, was bist du denn so grummelig?"
"Ich bin nicht grummelig. Echt nicht. Sorry."
Ich umarmte ihn, hielt ihn einfach nur fest.
"Keine Angst, daß uns jemand sieht?", flüsterte ich provozierend.
"Hier? Am Ende der bekannten Welt? Ich wette, dort hinten fließt das
ganze Wasser den Rand runter und die Schiffe kommen am anderen Ende
wieder hervor. Nein, ich glaube, hier sieht uns bestimmt niemand, der
mich kennt."
"Hier gibt es bestimmt jede Menge Sachen für Schwule?" Ich finde es
irgendwie gut, daß Nils dieses Wort schon fast selbstverständlich
benutzt.
"Ja, garantiert. Aber ich kenne fast nichts."
"Was? Ich dachte, du zeigst mir alle Bars und Clubs hier." Er grinste.
"Ich kenne hier fast gar keinen schwulen Laden. Ich war jedenfalls noch nirgendwo richtig drin."
"Ich glaube dir sogar. Dafür muß man erst von Hamburg nach Stuttgart kommen."
Wir fuhren zurück und kamen gerade rechtzeitig zum Abendessen.
Phil wollte wissen, was wir am Abend machen.
"Keine Ahnung. Vielleicht gehen wir ins Fliegenpilz?"
"Da wird es aber heute am Samstag ziemlich voll sein."
"Ach Shit, heute ist ja Samstag. Dieses ganze Feiertagsgedöns hat mich
total durcheinander gebracht. Dann müßten wir ja eigentlich Party
machen."
"Nein, bitte nicht, ich bin total müde."
Phil und ich guckten Nils gleichzeitig an: "Müde?"
"Ja doch, Mensch, ich habe den ganzen Tag im Zug gesessen."
Wir sind schließlich in irgend so einen Salsa-Latino-Club getapert, den
Phil kennt. War gar nicht schlecht, abgesehen von den aufgedonnerten
Mädels. Aber das kommt eben davon, wenn man mit Heten weggeht. Auf jeden
Fall kennt Phil eine der Bedienungen, und daher haben wir Mojitos bis
zum Abwinken bekommen.
"Wie geht's euch zwei eigentlich. Ich meine so zusammen?"
"Komische Frage. Wie geht's uns?" Ich guckte zu Nils. Der hatte schon
den dritten Mojito intus, nahm mich in den Arm und küßte mich: "Gut geht
es uns." Ich war total übergerascht und Phil grinste. Ich blickte Nils
an. Und da war etwas in seinem Gesicht, in seinen Augen, was ich schon
lange nicht mehr gesehen habe. Daß ich das schon lange nicht mehr
gesehen habe, fiel mir erst in dem Moment auf, als ich es sah: Er sah
glücklich aus, richtig glücklich. Nils, mein Nils küßt mich einfach so
in einem stinknormalen Laden und sieht glücklich aus. Was will ich
eigentlich noch?
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