"Schon gehört? Sie haben Max beim Sprayen erwischt."
"Ja und?"
"Jetzt wird überlegt, ob er vielleicht von der Schule fliegt."
"Wie? Nur weil er gesprayt hat? Das ist doch beknackt. Ich habe in
Hamburg die halbe Köhlbrandbrücke zugetagged und bin auch nicht von der
Schule geflogen."
"Erzähl doch keinen Scheiß, als wenn DU irgendwas in Hamburg getagged
hättest. Außerdem ist das was anderes. HIER ist es anders."
"Den Eindruck habe ich auch. Wo hat er denn überhaupt gesprayt?"
"Unten, die Rampe am Bahnhof."
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Daß sich das überhaupt jemand in diesem kleinen Kaff traut.
Ich weiß nicht, warum alle Leute so einen Schiß vor der Oberstufe
hatten. Ich finde das eigentlich ganz erträglich und nicht schlimmer als
vorher. Mathe geht, Physik und Franze gehen, sogar Deutsch ist ganz
erträglich. Na und den Rest kann man ja eh vergessen. Aber ich bin jetzt
in der Oberstufe. Ich bin einer von den großen. Ich stehe auf dem
Schulhof mit den anderen "Erwachsenen". Ich weiß noch genau, wie das auf
dem GySue war, die Leute in der Oberstufe waren unerreichbar weit weg,
schwebten über allem, waren so cool, so erwachsen. Und jetzt gehöre ich
selber dazu und fühle mich gar nicht so cool oder erwachsen. Eigentlich
habe ich nur noch mehr Probleme, die mir durch den Kopf gehen als
früher. Ich denke über viel mehr Dinge nach, drehe alles zigmal herum,
bevor ich überhaupt eine Entscheidung treffe und dann glaube ich
hinterher auch noch, daß sie falsch ist. Ständig habe ich Angst, etwas
Falsches zu sagen oder zu tun und damit Nils oder Heiko zu verärgern.
Und bei anderen bin ich wieder total unverschämt und rotzig.
Das letzte Training vor Leipzig. Nur noch ganz leichte und lockere
Sachen. "Damit du dich nicht verletzt", meinte Mahmout. Er ließ sich
meine Lieblingsgriffe zeigen, gab hier und da ein paar
Verbesserungsvorschläge aber meinte, ich wäre gar nicht schlecht. Er
macht ein total anderes Training als Dimitri. Es ist nicht leichter oder
weniger anstrengend, aber es ist meilenweit angenehmer. Ein komisches
Gefühl, aus der Halle heute zu gehen. Wenn ich zurückkomme, am Montag,
wird alles vorbei sein. Egal, wie es ausgeht, es wird vorbei sein und
ich werde Heiko wiedergesehen haben.
"Schlaf schön", meinte Nils, "ist schließlich deine letzte Nacht vor Leipzig hier. Morgen schlafen wir schon dort."
"Ja, in einem entsetzlich stinkigen Jugendgästehaus mit irgendwelchen Prolls im Zimmer."
"Wer weiß? Vielleicht haben wir ja auch ein nettes schnuckeliges Doppelzimmer?"
"Träum weiter, mein Schatz." Ich küßte ihn zum Abschied.
"Das werde ich. Ich werde von dir träumen."
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