"Du hast Streß mit Nils."
Das war keine Frage, das war eine Feststellung. Ich war mit Doris auf
dem Vorplatz zusammengestoßen und nach ein paar Sekunden, ohne daß wir
etwas gesagt hätten, hatte sie das gesagt.
"Laß mich in Ruhe, bitte!"
Und sie ließ mich in Ruhe. Fragte mich den ganzen Tag nicht ein einziges
Mal. Wir redeten nur nach Notwendigste miteinander und ansonsten war
Funkstille. Nils, Nils war auch da. Ich vermied es, ihn anzusehen. Nein,
ich vermied es nicht nur, ich sah ihn nicht, ich sah ihn wirklich
nicht. Ich schaute automatisch in eine andere Richtung. Ich wollte nicht
seinem Blick begegnen. In den Pausen stellte ich mich zu Max und den
anderen Leuten, so daß er gar nicht erst auf die Idee kommen konnte, mit
mir reden zu wollen. Reden! Was wollte er denn mit mir reden? Was
könnte er mir schon sagen? 'Tim, es tut mir leid, aber ich habe
rausgefunden, daß ich doch nicht schwul bin und doch auf Mädchen stehe'
Auf solchen Scheiß kann ich sehr gut verzichten. Ich könnte mich
ohrfeigen, wie konnte ich nur auf diesen Typen so reinfallen? Wie konnte
ich auf dieses Theater reinfallen? Die Schulstunden rauschten an mir
vorbei. Ich bin sogar zum Training gegangen. Auch das rauschte an mir
vorbei. Gottseidank teilte Dimitri Nils und mich nicht als Kampfpaarung
ein.
Nach dem Training bin ich noch vor allen anderen losgerauscht. Ich
bin sogar einen Umweg gefahren, um nicht an unseren Kreuzung
vorbeizukommen. Warum gehe ich überhaupt noch zum Training? Warum mache
ich diesen ganzen Unsinn überhaupt noch mit? Es hat doch sowieso alles
keinen Sinn mehr. Nils. Ringen. Warum habe ich das alles überhaupt
gemacht? Wollte ich Nils etwas beweisen? Wollte ich ihn beeindrucken?
Wollte ich im einen Gefallen tun? Ich weiß es nicht mehr. Warum habe ich
alle die Schmerzen ertragen? Die blauen Flecken, diese endlosen
Trainingssessions? Weil verdammt noch mal ich sowieso nichts besseres zu
tun hatte hier! Es ist doch nur noch alles zum Kotzen! Die einzigen
Leute, die ich kenne, die einzigen Freunde, die ich habe sind alle vom
Verein. Und da läuft mir Nils über den Weg. Immer. Ich will nicht mehr.
Ich will gar nichts mehr. Ich will nur noch zu Hause bleiben. Nie wieder
raus gehen. Nie wieder irgend jemanden sehen.
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