"Wir dachten, wir schauen mal vorbei, was los ist. Keiner weiß Bescheid."
Flo und Max standen in der Tür.
"Bist du krank?"
"Sieht ja wohl so aus."
"Was hast du denn?"
"Grippe", log ich.
"Du siehst auch wirklich ziemlich scheiße aus."
Na toll, Max war war drastisch wie immer.
"Gib's zu, du hast nur zu viel gesoffen und mußt erst mal deinen Rausch ausschlafen."
Ich ließ mich in mein Bett fallen und vergrub mich in meinem Kissenhaufen.
"Ich glaube, er ist wirklich krank", meinte Flo.
"Vielleicht hat er ja auch nur Liebeskummer", blödelte Max.
"Ich bin nicht krank, ich will einfach nur meine Ruhe haben", wimmerte ich.
"Für Ruhe sind wir nicht zuständig", prustete Max, "wir dachten, wir heitern dich ein bissele auf."
"Ich will aber vielleicht gar nicht aufgeheitert werden. Vielleicht will
ich ja wirklich meine Ruhe haben und vielleicht geht ihr jetzt auch
besser."
Ich sah, wie die beiden mit den Schultern zuckten, sich umdrehten und gingen.
Mein Leben ist ein Trümmerhaufen. Ich mache alles kaputt. 'Wie lange
soll denn das so weitergehen?' hatte Doris gefragt. Sie hat recht. Sie
hat ja so recht. Ich stehe auf und blicke in den Spiegel. Und bekomme
tatsächlich einen Schreck wie ich aussehe. Total blaß, Ringe unter den
Augen. Vor allem rot sind sie mene Augen, rot vom Weinen. Ich schaue
mich an und beginne auf mich einzureden. 'Ruf ihn an, rede endlich mit
ihm. Mache dem ganzen Hin und Her ein Ende. Du gehst kaputt dabei, Tim!'
Ich nahm mir tatsächlich vor ihn anzurufen. Bis ich in meinem Zimmer
war, hatte mich der Mut wieder verlassen. Ich überlegte mir, wie er wohl
reagieren würde. In meinem Kopf entstand ein komplettes Theaterstück
mit perfekten Dialogen, jedes Wort zigmal abgewägt. Jede Reaktion
durchgespielt.
Variation Eins, die wahrscheinlichste, die, die am meisten weh tun
würde: Tim, was erzählst du da? Ach nein, vergiß es. Es war ganz ok mit
dir, aber wie kommst du denn auf die Idee, daß ich irgendwas für dich
empfinde? Also wenn du mir so kommst, dann ist es vielleicht besser, wir
sehen uns nie wieder.
Variation Zwei: Tim, du bedeutest mir auch eine Menge, wirklich. Aber
wir wohnen nun mal viel zu weit voneinander weg, als das daraus was
enrsthaftes werden könnte. Außerdem hast du einen Freund und ich auch.
Also, laß uns einfach Spaß haben, wenn wir uns mal sehen und alles
andere einfach viel lockerer nehmen.
Variation Drei habe ich gar nicht erst durchgespielt, weil die
wahrscheinlich noch viel mehr wehtun würde als die erste, nämlich, die
wenn er sagt, daß es ihm ebenso geht wie mir. Ich weiß nicht, was ich
dann machen würde. Ich weiß es wirklich nicht. Und was wäre, wenn er
sagt, daß er nur auf ein Zeichen von mir gewartet hat. Und ich Idiot
habe mich nicht getraut? Shit, meine Phantasie und meine Wünsche gehen
mit mir durch. Und ich fange wieder an zu heulen.
Mom und Dad ließen mich in Ruhe. Zum Glück, denn ich glaube, ich würde
ausrasten, wenn ich noch total betuttelt werde. Irgendwann ging die Tür
auf: "Tim?" Es war Lisa, meine kleine Prinzessin. "Tim, bist du noch
krank?"
Sie stand vor meinem Bett und blickte mich mit großen Augen an. "Ich
habe ein Bild gemalt." Da lag ich in einem Bett auf einer grünen Wiese
und über allem lachte eine große Sonne. Sie drückte mich ganz fest. "Ich
werde bald wieder ganz gesund", versprach ich ihr.
Es muß endlich aufhören. Ich gehe sonst wirklich noch kaputt. Und ich
stoße alle um mich herum vor den Kopf. Doris hat wirklich recht. Ich muß
endlich Klarheit haben. Vielleicht wird es weh tun, aber ich ertrage
diese Ungewißheit nicht mehr. Morgen werde ich es klären und ihn
anrufen.
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