"Das kommt von deinem blöden Biertrinken gestern", meinte Nils
vorwurfsvoll. Ich hasse es, wenn er so redet wie Mom und dann auch noch
recht hat. Mein Kopf dröhnte den ganzen Tag. Und er dröhnte auch noch
vor dem Wettkampf. Ich weiß ja auch nicht. So viel habe ich doch gar
nicht getrunken. Ich kann mich jedenfalls noch an alles erinnern was
gestern war. Aber trotzdem fühlte ich mich den halben Tag, als wäre ich
in Watte. Florian gab mir zwei Tabletten: "Das eine ist was für den
Kopf, das andere ist as zum Munterwerden von Max."
Ich wollte gar nicht wissen, was es genau war und schluckte die Dinger
runter. Und tatsächlich wirkten sie. Nach einer Viertelstunde war mein
Kopf wieder klar und ich war putzmunter. Mehr noch, ich wurde total
hibbelig. Sprang auf und ab und hatte Mühe stillzusitzen.
Mein erster Kampf kam und seltsamerweise klappte alles total easy. Ich
wirbelte herum, war an seinen Armen, an den Beinen und als der Kampf zu
Ende war, lag ich mit sechs Punkten vorne.
"Was ist denn mit dir los?" fragte mich Nils, als ich von der Matte kam. "Du fegst ja wie ein Wahnsinniger über die Matte."
"Ich weiß auch nicht, das kommt ganz automatisch."
"Paß bloß auf, daß du nicht zu sehr überdrehst. Konzentrier dich lieber
und mache etwas langsamer. Sonst machst du zu viele Fehler."
Borrh, und ich dachte, er würde sich freuen, wenn ich ein paar Punkte
mache. statt dessen spielt er den großen, vernünftigen Coach. Ich setzte
mich in eine Ecke und versuchte mich wieder zu sammeln. Ich weiß nicht
woran es lag, daß ich auf einmal so hibbelig und voller Energie war. Ob
das vielleicht doch an dem Zeugs von Flo gelegen hat? Wobei, das kann
ich mir nicht vorstellen, daß gerade er so ein Zeugs zum Wettkampf
mitbringt. Andererseits, wenn das von Max kommt. Ach Shit, ich will gar
nicht darüber nachdenken.
Mein zweiter Kampf war nicht mehr ganz so easy. Ich hatte den Eindruck,
daß mein Gegner gar nicht in meine Gewichtsklasse gehörte sondern
mindestens eine höher. Wenn ich ihn tatsächlich mal auf dem Boden hatte,
schien er da wie festgeklebt zu sein. Was ich auch versuchte, ich bekam
ihn keinen Millimeter bewegt. Blöderweise erwischte er dann auch noch
einen Arm von mir und klemmte ab, so daß ich fast auf der Schulter
landete. Nur durch einen großen Zufall und mit jeder Menge Glück kam ich
da raus und konnte sogar noch kontern und mit einem winzigen Punkt in
Führung gehen. "Das nächste Mal bist du dran", knurrte er mich danach
an. Was sollte denn das? So eine bekloppte Reaktion hatte ich ja noch
nie erlebt. Ich ging wieder in meine Ecke: "Gut gekämpft, Kleiner", Nils
klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Kleiner hatte er gesagt. Von
einer Sekunde auf die andere war Heiko wieder in meinem Kopf. Sein "Na
Kleiner?" von dem Abend kam mir wieder in den Sinn. Und plötzlich war
wieder alles da, als wäre es vor ein paar Minuten passiert. Ich raste in
die Umkleide, hielt wieder mal meinen Kopf unter eiskaltes Wasser. Mein
Herz raste, ich schnappte nach Luft. Was mache ich hier? Was ist das
alles für eine Scheiße? Ich ging nach draußen, kein Wind, es war
stickig, die Luft war wie Blei. Wie schön wäre es, jetzt irgendwo am
Meer zu sitzen und den Wind zu spüren. Ich riß mich zusammen und ging
wieder zu den anderen, gerade noch rechtzeitig zur gemeinsamen
Verabschiedung. Ich glaube den Rest des Abends war ich ziemlich
schweigsam. Wir waren alle noch Pizza Essen und ich habe mir den Bauch
vollgestopft. Ich weiß nicht, ob es mir dadurch besser ging, jedenfalls
wurde ich im Kopf wieder ein klein wenig klarer.
Der Bus setzte Nils und mich an "unserer" Kreuzung ab. "Ciao ihr zwei",
meinte Flo und grinste mich unverschämt an. Ich glaube er weiß es, oder
er ahnt was. Aber im Moment ist es mir so ziemlich egal. Im Moment ist
mir so ziemlich alles egal. Wir taperten noch ein bissele in Richtung
Eichelberg (was für ein schräger Name). Nils wollte wissen, was mit mir
los ist: "Du bist so komisch in der letzten Zeit."
"Wieso denn komisch?" wollte ich wissen.
"Ich weiß auch nicht. Mal bist du so total depri drauf und dann bist du wieder so überdreht. Irgendwas ist doch mit dir."
"Ich weiß es doch auch nicht." Ich blieb stehen und drückte ihn an mich.
"Ich weiß nicht, was mit mir ist. Ich bin nur einfach so, so komisch
durcheinander. Ich kriege das alles einfach nicht mehr auf die Reihe."
"Was alles?"
"Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Aber es hat nichts mit dir zu tun, echt nicht."
Nils guckte mich an. Seltsam ernst, seltsam erwachsen. "Und womit hat es dann zu tun?"
Ich zuckte hilflos mit den Schultern: "Mit mir, ich weiß auch nicht. Das
ist es ja eben. Wenn ich es wüßte, würde es mir besser gehen."
"Man könnte ja fast sagen, du bist verliebt."
In mir schrillten sämtliche Alarmglocken. Ruhig bleiben, ganz langsam,
dachte ich mir, nur jetzt keinen Fehler machen. Ich guckte Nils in die
Augen: "Vielleicht hast du mir ja das Herz gebrochen", sagte ich. Und
ich fühlte mich wie ein Schwein in dem Moment. Daß ich ihn so anlog, daß
ich ihm nicht die Wahrheit sagte, nicht sagen konnte, nicht sagen
wollte. statt dessen log ich ihn an, spielte ihm irgendas vor. Obwohl,
natürlich liebe ich ihn, ich lieber ihn wirklich. Verdammt noch mal,
genau das ist ja das Problem. Nils zog mich an sich und drückte mich
ganz fest. Er gab mir einen ganz langen Kuß: "Ich liebe dich auch",
flüsterte er. Wir gingen zurück. Schweigend. Ein schöner Kuß zum
Abschied.
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